Ethel Cain – Preacher’s Daughter

PopRock, VÖ: Mai 2022
Es gibt reichlich Substanz und einen Zusammenhalt in PREACHER’S DAUGTHER, die den meisten Debüts fehlen – und doch wird von dieser unglaublichen Künstlerin und der reichen Welt, die ETHEL CAIN geschaffen hat, eindeutig noch so viel mehr kommen.

Ihr Debütalbum enthält atemlose Darstellungen von schlecht erzogenen Männern (“He’s never looked more beautiful on his Harley in the parking lot, breaking into the ATMs”), heruntergekommene, aber idealisierte romantische Setups, Roadtrips voller Motels, Diners und Pistolen und dem kalten Glanz eines Stripclubs. Doch wie der Titel schon sagt, ist die andere Hauptbeschäftigung des Albums die Religion. Ethel Cain’s Vater war Diakon, und als Teenager wurde sie von der Southern Baptist Church, in der sie aufgewachsen war, geächtet, nachdem sie sich als schwul geoutet hatte (sie erkannte später, dass sie Transgender war). Bei Songs wie „Family Tree“ nährt ihre gequälte Beziehung zum Christentum die kraftvollsten Texte eines Albums, das vollgepackt ist mit eindringlichen, dicht geschichteten Bildern und knorrigem emotionalem Gewicht. Dies ist kein Album, das man sich nur mit einem Kopfhörer anhören sollte: Es wurde mit dem ausdrücklichen Ziel geschaffen, ein Ganzkörpererlebnis zu inspirieren, die gleiche Art von Erfahrung, die Hayden Silas Anhedönia hatte, als sie die Rolle von Ethel Cain übernahm: “I swear to God, Ethel Cain, like, possessed me” sagte sie der New York Times in einem Interview. 

Die Produktion auf diesem Album ist in ihrer Präzision und in ihrer Symbiose mit dem lyrischen Inhalt überirdisch: Musik und Texte bilden zusammen ein verblüffend eindrucksvolles Ganzes. Stephen King war 27 Jahre alt, als sein erstes Buch „Carrie“ veröffentlicht wurde. Ethel Cain ist erst 24 und hat bereits etwas so Beeindruckendes und mit so viel Potenzial für ihre kulturelle Wirkung geschrieben. Wie bei King (von dem sie ein Fan ist) gibt es hier wirklich erschreckende Momente, wie zum Beispiel in „A House In Nebraska“, in dem finstere Schlüssel das Schicksal des Paares vorhersagen und in dem wirklich beunruhigenden „Ptolemaea“, das verzerrte Gesänge und ein wiederholtes Stöhnen mit abschreckender Wirkung verwendet. Der Sound und die Ästhetik von Cain’s früheren Veröffentlichungen – einschließlich der exzellenten EP „Inbred“ von 2021 – zogen Vergleiche mit Künstlern wie Lana Del Rey und Florence + the Machine nach sich. Aber „Preacher’s Daughter“ beginnt, Cain’s Vermächtnis auf eine Weise herauszuarbeiten, die ihre vorherige Arbeit nicht konnte, und es offenbart einen viel größeren Umfang. 

Die Musik auf dem Album – grüblerisch, instinktiv, brutal und dramatisch – scheint mehr auf die Anforderungen der Erzählung zu reagieren als auf nostalgische Signifikanten. So komplex die Thematik auf „Preacher’s Daughter“ auch ist, die Zeit, die damit verbracht wird, die Songs auszubreiten, hat den Effekt, die grundlegenden Emotionen aufzudecken, die ihren Kern durchziehen – die isolierende Leere von „A House in Nebraska“, die aufgewühlte Romantik von „Western Nights“, die pure Erschöpfung von „Hard Times“. Doch im Gesamtverlauf des Albums wird das Wachstum der Protagonistin auf subtile Weise deutlich. Nehmen wir „Western Nights“, wo Cain verkündet: “Show me how much I mean to you while I’m lying in these sheets undressed” – wenn man bedenkt, wie die Besessenheit der Sängerin einen Schatten auf die wahren Absichten der anderen Person wirft. Auf dem letzten Track „Strangers“ bleibt ihre Sprache ebenso verblüffend, wie sie sich nach einer anderen Art von Bestätigung sehnt: „Just tell me I’m yours/ If I’m turn in your magen and I’m make you feel sick.“ Aber wenn man aus der Reise eine Lehre ziehen kann, dann die, dass man nur auf sich selbst aufpassen kann – es gibt keine Erlösung, nur das Gebet. “I can’t let go when something’s broken/ It’s all I know and it’s all I want now,” erklärt sie.

Als kreative Universalgelehrte offenbart Cain’s Universum grenzenloses Potenzial – die Rede ist von weiteren Alben, einem Roman und einem Spielfilm. Zum Abschluss dieses Albums, dieses Kapitels, dieses Charakterprofils ist nichts, worüber man sich beklagen müsste. Auch als Ganzes kann an „Preacher’s Daughter“ nichts beklagt werden – diese Platte ist eine brutale Leistung, die Cain’s Meisterschaft der Synthese demonstriert, um disparate Elemente von Ambient, Slowcore, klassischem Rock, Sexualität, Gewalt und Christus in ein episches Paket zu bringen.

9.7