Chelsea Wolfe – Birth of Violence

Folk, VÖ: September 2019
CHELSEA WOLFE hat uns im Laufe ihrer gesamten Karriere emotional intelligenter gemacht. Mit BIRTH OF VIOLENCE macht sie einen bedeutsamen Schritt nach vorne mit Liedern, die ihre Raffinesse zunächst hinter schwerfälligen, träumerischen Fassaden verbergen.

Während so viel von der sogenannten Dunkelheit in der Musik in den Bereich stilisierter Affektiertheit fällt, lässt Chelsea Wolfe’s Präsentation keine eindimensionalen Lesarten zu und verfällt nicht der Selbstparodie. Sie hat in ihren Darstellungen emotionaler Zustände wie Besorgnis und Trauer stets ein ausgeprägtes Bewusstsein bewiesen. Auf „Birth of Violence“ wird die Verwundung jedoch zum Ausgangspunkt für die Regeneration, während Wolfe’s musikalisches Vokabular mehr denn je zu verfestigen scheint. Die ersten fünf Titel von Wolfe’s Debüt „The Grime and the Glow“ aus dem Jahr 2010 enthalten mehr oder weniger die gesamte Bandbreite an musikalischen Zutaten, aus denen sie gerne schöpft: Folk, elektronische Produktion und Doom Metal mit Spritzern von Gothic und Twang. 

Auf ihren letzten beiden Alben, „Abyss“ aus dem Jahr 2015 und „Hiss Spun“ aus dem Jahr 2017, stürzte sich Wolfe kopfüber in das metallische Ende des Pools, indem sie die Verzerrung für sengende Gitarrenparts aufdrehte, die die Arrangements wie dicke Ströme geschmolzener Lava verschlang. Im Gegensatz dazu fällt einem bei „Birth of Violence“ als Erstes das Fehlen von Gitarrenverzerrungen auf. Dieses Mal rückt Wolfe’s Akustik wieder ins Rampenlicht und mit ihr die nahezu überwältigende Präsenz eines Raums, der die Platte durchdringt und ihre vielen Vorteile beherbergt. Jedes Lied strahlt sein eigenes Gefühl einer Traumlandschaft aus und vermittelt gleichzeitig irdische Melancholie. 

Der Eröffnungstrack „The Mother Road“ vermittelt dieses Reisegefühl; Die tiefen Gitarrentöne und atmosphärischen Texturen zeichnen ein Bild der offenen Straße, wobei Wolfe’s Stimme den Schwung antreibt. Unmittelbar danach wirkt „American Darkness“ wie ein eindringliches Schlaflied, da ihre Stimme über minimaler Instrumentierung in der Luft verweilt und Momente der Wärme und Kälte ausstrahlt. Die Lyrik im gesamten Album sorgt für ein Gleichgewicht zwischen Selbstbeobachtung und weltlichen Beobachtungen. Auf „When Anger Turns to Honey“ singt Wolfe: „They’ll hunt you/ Then they’ll haunt you/ Their anger has them under a spell.“ Während dieser Strophe strahlt ihre Stimme eine düstere Energie aus, die durch die Instrumentierung fließt. 

An anderer Stelle ist „Deranged for Rock & Roll“ einer der wenigen „schweren“ Tracks auf der LP. Während Wolfe die Zeilen „Out of my head/ The final high/ I am yours and you are mine“ singt, verschmilzt die Spannung ihrer Stimme mit der instrumentalen Intensität des Tracks. Trotz der Reduzierung auf das Wesentliche steckt hinter „Birth of Violence“ eine beeindruckende Liebe zum Detail und Tiefe, der musikalische Hintergrund voller subtiler Details, hinter reichhaltigen und spärlich orchestrierten Kompositionen. „Birth of Violence“ ist am Ende weder Wolfe’s bestes Album noch ihr intensivstes noch ihr zugänglichstes. 

Was es aber ist, ist eine Kombination aus eleganter Gesangskunst, furchteinflößender Musikalität und überirdischem Gesang. Ihre Musik stand schon immer an der Schnittstelle von Metal und Folk, Country und Gothic. „Birth of Violence“ steht nicht mehr im Mittelpunkt der Wegkreuzung, es eröffnet einen neuen Weg … nach unten.

8.0