Feist – Multitudes

Alben der WocheFolk, VÖ: April 2023
Die kanadische Songwriterin FEIST sitzt in einem schwarzen Pullover und einem karierten Rock auf dem Boden. MULTITUDES ist ihr sechstes Studioalbum und vereint sowohl Feinheit als auch Wirkung.

Das elegante „Let It Die“ (2004) mischte mühelos Bossa Nova, Jazz-Pop, Folk und Rock; „The Reminder“ (2007) ist zwar ebenfalls vielfältig, aber wegen seiner jingleartigen Hymnen denkwürdig; „Metals“ (2011) schlug einen stimmungsvolleren, atmosphärischeren Weg ein; und das selbstbewusstere „Pleasure“ (2017) schien es zu genießen, instabil und unvorhersehbar zu sein. Im Jahr 2023 ändert „Multitudes“ erneut die Herangehensweise und zeigt Feist mit Abstand am direktesten und ergreifendsten – und das will etwas heißen – aus einer Sammlung an Songs, die während einer Reihe intimer Live-Shows (auch Multitudes genannt) entwickelt und in den Jahren 2021 und 2022 aufgeführt wurden. 

Die Songs wurden von wichtigen Lebensereignissen inspiriert, darunter die Adoption eines Babys, der Tod ihres Vaters und der Ausbruch einer weltweiten Pandemie. Zusätzlich zu den Themen Leben, Liebe und Verlust hat „Multitudes“ eine experimentelle Neigung, die ihre Tiefe nur durch eine exquisite Produktion (Aufnahme, Mischung, Mastering) verstärkt, die jedem Sound Gewicht verleiht. Es wurde nur wenige Wochen vor seiner Veröffentlichung in einem eigens gebauten Heimstudio in Nordkalifornien aufgenommen, wobei Feist, Mocky, Robbie Lackritz, Blake Mills und (Filmemacher) Mike Mills an der Produktion beteiligt waren.

Sie sagte über den Schreibprozess der Platte: „[There is] nothing performative in me anymore.“ Dieses Gefühl belebt „Multitudes“ – Feist zeigt auf diesem Album keinerlei Angst oder Unsicherheit. „I’ve never started / a forever before“, singt sie in einem bekennenden und hoffnungsvollen Ton. Bei der Instrumentierung gibt es wenig zu verbergen; Viele der Songs sind extrem spärlich, mit nur ihrem Gesang und einer Gitarre, gespielt von Amir Yaghmai (HAIM, Julian Casablancas, Devendra Banhart). Ihre Gesangsmelodien – mäandrierend, aber traditionell, Intrigen und klangliche Befriedigung gekonnt balancierend – dürfen im leeren Raum erblühen. 

Die Schroffheit der Arrangements macht die üppigen harmonischen Erweiterungen dagegen besonders schön; Die Singles „In Lightning“ und „Borrow Trouble“ sind einige der einzigen großen Momente auf dem Album, emotionale Veröffentlichungen inmitten tiefer Kontemplation. Doch so tief empfunden diese Songs offensichtlich auch sind, „Multitudes“ fühlt sich alles andere als kostbar oder zerbrechlich oder gar sehr verletzlich an. Stattdessen könnte das Album noch mutiger und belebender sein als das Theaterexperiment, das ihm vorangegangen ist. Wie schon auf der Bühne bricht Feist gerne mit dem Klischee der verlassenen Singer-Songwriterin, die sich zur Begleitung einer gezupften Akustikgitarre das Herz ausschüttet. 

Während die Songs zu Beginn der Aufnahme so begannen – und eine Handvoll diese Rohheit beibehalten – wurden ihre Formen oft aufgebläht, als sie andere Elemente einschlossen, einschließlich der bemerkenswerten Vielfalt an Stimmen, die Feist in engelsgleichen Chorpassagen und weniger offensichtlich wohlklingenden Arrangements zusammenwebt. Abgesehen von Kate Bush ist es schwer, sich eine andere Künstlerin vorzustellen, die mit Feist’s Vorliebe für die Verdoppelung und Verdreifachung ihrer Stimme mithalten kann. 

Letztlich geht es darum, dass sie tief in die schwierigsten Emotionen vordringt und eine Gelegenheit entdeckt, sich selbst herauszufordern und zu überraschen und sich dadurch vielleicht menschlicher und verbundener zu fühlen. Hier und überall in „Multitudes“ klingt sie im wahrsten Sinne des Wortes furchtlos.

9.2