Lisa O’Neill – All of This Is Chance

Folk, VÖ: Februar 2023
Eine Erzählerin im wahrsten Sinne des Wortes, jede Geschichte beginnt irgendwo und LISA O’NEILL beginnt diese außergewöhnliche Sammlung hier auf Erden, auf irischem Boden.

Vor ein paar Jahren erfüllte sich Lisa O’Neill einen Lebenstraum, indem sie als Headlinerin in der National Concert Hall in Dublin auftrat. Aufgrund von Covid-Einschränkungen musste sie jedoch in einem leeren Theater auftreten. Oder fast leer. Im Bewusstsein all der Geister, die sich in der stattlichen viktorianischen Aula einst aufhielten, rief sie einige freundliche Geister zu sich: Hilda Moriarty, die in den 1940er Jahren Medizinstudentin war, als die Halle noch Teil des University College Dublin war. Patrick Kavanagh, der verliebte Dichter, doppelt so alt wie sie, und The Dubliners, die den Vers auf eine alte Folkmelodie vertonten und ihn 1971 mit dem Titel „On Raglan Road“ aufzeichneten – Lisa führte diesen Song in einem eindringlichen a cappella auf.

Aber sie beschwor auch andere Geister herauf, indem sie Songs von Tom Waits, Ivor Cutler, Nina Simone und, in Erinnerung an eine geliebte Verwandte, „My Pony, My Rifle And Me“ aufführte, wie sie von Dean Martin und Ricky Nelson in Rio Bravo gesungen wurden. „I think I saw Ivor Cutler with Hilda and Paddy earlier“, murmelte sie und verfiel zwischen den Liedern in eine kurze Träumerei. „Nobody’s social distancing in the Ghost Green Room…“ Auch in O’Neill’s Kunst gibt es keine soziale Distanzierung – alles rollt hier in einer großen Jamboree-Tasche herum: die Liebe, die Trauer, die Wut, die Fremdheit, der Humor und das Staunen mit großen Augen. 

Auf „All Of This Is Chance“ bringt sie diese Elemente wie nie zuvor zusammen und schafft ein Album, das sich wie der erste unbestreitbare Klassiker des Jahres 2023 anfühlt. Ihr trällernder, rauer Rhythmus trägt das Gewicht, die Stärke und den lebhaften Humor ihrer Heimat mit sich, und ihre Geschichtenerzählung klingt wahr und geerdet, selbst in ihrer mystischsten und verwirrendsten Form. Der kraftvolle Titelsong setzt sich aus den Anfangszeilen des Gedichts „The Great Hunger“ des irischen Dichters Patrick Kavanaugh zusammen („Clay is the word and clay is the meat/Where the Potato-gatherers like mechanized scarecrows move“). O’Neill erweitert die Themen des Stücks um Armut, Einsamkeit und die Verbindung zum Land mit weiser Ernsthaftigkeit. 

Sie interpunktiert das sparsame, von Banjos geführte „Silver Seed“ mit Brüllen und beklagt die Trennung der Menschheit von der natürlichen Welt auf dem Üppigen und unglaublich bewegenden „Old Note“. O’Neill schließt das Album mit dem Wiegenlied „Goodnight World“ ab, das für eine australische Produktion von „The Boy Who Talked to Dogs“ geschrieben wurde, einer Adaption von Martin McKenna’s Memoiren von 2014 über Mobbing, Tapferkeit und Belastbarkeit. Es ist ein passender Abschluss einer Sammlung von Songs, die Empathie aus den Samen der Zwietracht ernten und eine subtile Erinnerung daran, dass die „big old bold world“ weder Freund noch Feind ist.

8.0