
RADIOHEAD
RADIOHEAD schütteln den 90er-Gitarrenkanon auf: THE BENDS zwischen fiebrigem Art-Rock, entlarvender Ballade und einem Cover, das den Riss im System zeigt.
Radiohead kommen aus dem langen Schatten von „Creep“ nicht durch eine bloße Wiederholung, sondern durch eine Korrektur der eigenen Laufbahn. Nach dem ruppigen Debüt formt „The Bends“ den Sound der Band neu: John Leckie öffnet Räume, Nigel Godrich bringt erstmals sein stilles Ordnungsprinzip ins Studio, die drei Gitarren trennen sich in Rollen, statt eine einzige Wand zu bauen. Der Druck des Labels, der Touralltag, die Müdigkeit – all das sickert in Texte, die Entfremdung nicht als Pose, sondern als Zustand verhandeln. Schon „Planet Telex“ sendet das Störsignal: „Everything is broken“, dazu ein Loop, der wie ein verkeilter Puls arbeitet. Später in „The Bends“ fragt Thom Yorke, „Where do we go from here?“, während die Bilder von CIA und Tanks aufflackern, als stünde das private Zittern unmittelbar neben geopolitischer Paranoia. Das klingt groß, manchmal zu groß; genau dort entzündet sich der Reiz des Albums, dort entstehen seine Brüche.
Die Balladen greifen tiefer als noch auf „Pablo Honey“. „Fake Plastic Trees“ entblättert Konsumkulissen bis auf das Gefühl, das darunter übrig bleibt: „He used to do surgery for girls in the eighties, but gravity always wins.“ Yorke’s Falsett hebt nicht in Kitsch ab, es stürzt eher langsam durch die Decke einer Beziehung, die aus Attrappe und Sehnsucht besteht. „High and Dry“ liefert den Popmoment, den die Plattenfirma brauchte, doch er bleibt ambivalent; die Melodie schmiegt sich, der Text zieht zurück. Im Gegenzug schlägt „Just“ die Rocktür mit aller Gewalt auf, Jonny Greenwood schlitzt mit Whammy und Oktatonik Linien in die Luft, während Yorke das Schuldprinzip auf einen einzigen Satz zusammenschnappt: „You do it to yourself.“ Dieser Biss schützt das Album vor Larmoyanz, auch wenn „Sulk“ und „Bullet Proof… I Wish I Was“ gelegentlich im 90er-Hall verharren und ihre Konturen verlieren.
„Black Star“ versucht die Sprache für psychische Risse zu finden, bleibt im Bild des Unglücksplaneten hängen, trifft dennoch mit der Müdigkeit einer Liebe, die sich täglich neu nicht versteht. Das Cover – der flackernde Torso einer Reanimationspuppe vor tiefem Schwarz, die rote Typo wie ein Alarmband – spiegelt die Motive der Songs deutlicher als manches Arrangement. Ein künstlicher Körper, halb Ekstase, halb Schmerz: genau das wird zur Folie für „My Iron Lung“, für das Verhältnis der Band zu ihrem frühen Hit, für die Frage nach Authentizität im System Pop. Am Ende steht „Street Spirit (Fade Out)“: Arpeggien wie dünnes Glas, „Cracked eggs, dead birds“, dann der rettende Rest Sinn – „Immerse your soul in love.“ Radiohead zeigen hier die Fähigkeit, Intimität in Architektur zu übersetzen.
Nicht alles sitzt; die Dramaturgie schwankt zwischen hymnischem Zugriff und schwerer Melancholie, gelegentlich packt die Produktion noch zu sehr an den Reglern. Dennoch markiert „The Bends“ den Moment, in dem Radiohead vom Zufallserfolg zur selbstbestimmten Größe werden.
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