SPELLLING – Mazy Fly

ElectronicExperimental, VÖ: Februar 2019
MAZY FLY von SPELLLING durchquert musikalisch die Räume zwischen trägen, honiggetränkten Gesängen und entferntem engelsgleichem Flüstern, von pochenden 808-Club-Beats zu knirschenden Tape-Loops und von seidigem, sanftem R&B zu wirbelnden Orgelsonaten.

Die kalifornische Bay Area war schon immer ein Schmelzpunkt der Kulturen und eine Brutstätte für zukunftsorientierte, politisch fortschrittliche Musikerinnen, aber die beiden waren bis zum Beginn dieses Jahrzehnts relativ nach Rassenlinien geschichtet. Heute sind es farbige Frauen, die an der Spitze der experimentellen Noise-Szene der Gegend stehen, mit SPELLLING an der Spitze seit der Veröffentlichung ihres Debüts „Pantheon Of Me“.

„Mazy Fly“ ist die neueste Momentaufnahme ihrer sich entwickelnden musikalischen Erzählung und ihre erste Platte, die auf Sacred Bones veröffentlicht wurde. Darin lässt Chrystia Cabral zu, dass ihre menschliche Maske zu ihren Füßen zerbricht, während sie tiefer in die Winkel ihres Geistes eintaucht und sich um die darin gefundenen überwucherten Gärten kümmert. Schon ihr Name klingt nach einer uralten, kreolischen Wahrsagerin. Eine Verbindung zum Himmel, deren Gabe sie von ihrer Urgroßmutter geerbt hat.

Experimentelle elektronische Musik ist mehr denn je zum bevorzugten Raum für marginalisierte Künstlerinnen geworden. Die Underground-Szene, die früher weitgehend weißen Männern zugeschrieben wurde, wie die vorherrschende Erzählung von IDM der 90er Jahre zeigt, wird heute von Künstlerinnen wie Lotic und SOPHIE weiterentwickelt. Bei der Konzeption von „Mazy Fly“ war Cabral „struck by the way the same technologies that have given humans the ability to achieve utopian dreams of discovery have also brought the world to the precipice of dystopic global devastation“. 

Vielleicht kann dieser Gedanke durch Afrofuturismus verstanden werden. Diese kulturelle Linse ist mehr als ein einfaches Geflecht aus schwarzer Ästhetik und Science-Fiction. „Mazy Fly“ schwelgt also in einer himmlischen Imagination, einem Bewusstsein im Einklang mit dem Afrofuturismus. So besingt die Retrofuture-Disco-Single „Under the Sun“ den fiktiven Star Planet Dawn. Über sanft fröhlichen Synthesizern betet Cabral die Reprise „Yesterday is clean and gone / One day under the Sun“. 

Die Beschwörung wächst allmählich von lauer Hoffnung zu nachdrücklichen Erklärungen, bis sich der imaginäre Planet Dawn wirklich manifestiert. SPELLLING’s honiggetränkter Gesang und ihr exzentrischer und experimenteller Neo-Soul-Stil beschwören Bilder von weiblichen Avantgarde-Einzelgängern wie Zola Jesus, Björk und FKA Twigs herauf, und wie sie marschiert sie zum Klang ihrer eigenen Trommel. Musikalisch vollzieht „Mazy Fly“ eine sprichwörtliche Gratwanderung und verliert dabei oft das Gleichgewicht. Die Schönheit liegt jedoch in den Momenten, in denen es fällt. 

Denn für jedes Mal, wenn „Mazy Fly“ vom Himmel fällt, gibt es immer ein Sicherheitsnetz in Bereitschaft, kurz gefolgt vom nächsten begeisterten Trapezsprung in Chrystia Cabral’s psychedelischem Zirkus.