Indem TORI ZIETSCH sich selbst besser versteht, setzt sie ihre Mission der Selbstemanzipation durch Gesang fort. Ihr zweites Album ist ein Dokument radikaler Ehrlichkeit und Transparenz.
Mit ihrem Nachfolger „I Get Into Trouble“ schwelgt die australische Melodienschmiedin weiterhin in üppigen Hooks, stimmungsvollen Texturen und sinnlichem Gesang. Darüber hinaus thematisieren Zietsch’s neue Lieder komplexe Themen wie Missbrauch, Religion und Beziehungsambivalenz, ohne dabei in einfache Binsenweisheiten oder bequeme Stereotypen zu verfallen. Das Ergebnis ist eine Zweitveröffentlichung, die von Anfang bis Ende überzeugt. Zietsch webt im gesamten Album kunstvoll Parallelen zwischen organisierter Religion, patriarchalen Erwartungen und Sexualität. Dass sich diese Erzählungen sowohl poetisch entfalten als auch von beschwingten Folk-Pop-Hooks begleitet werden, erzeugt ein unerwartetes und erhebendes Gefühl der Freiheit.
Auch Tracks wie „Two Years“ und „Fomo“ zeichnen sich durch eine sachliche lyrische Unverblümtheit aus: „My bank account’s not healthy, and neither’s my sex life.“ An anderer Stelle fragt Zietsch bei der herzzerreißenden Kapitulation von „Don’t Kiss Me“: „Do you see me now?“ nach der sengenden Aussage „I was just a baby until you made me a lesson to be learned.“ Diese furchtlose Herangehensweise an das Geschichtenerzählen macht die Musik von Maple Glider so fesselnd und unvorhersehbar. Tatsächlich ist hier nichts vorhersehbar; Es gibt Momente, in denen man erwartet, dass sich ein Song auf eine bestimmte Art und Weise entwickelt, nur um dann spielerisch am Rande dieser anderen Möglichkeiten zu verweilen, bevor er seine eigene wahre Lösung findet.
Aber neben dem Schmerz findet sich auf dieser Platte auch Freude. Auf den aufeinanderfolgenden Titeln „You at the Top of the Driveway“ und „You’re Gonna Be a Daddy“ denkt Zietsch darüber nach, wie ihr Bruder Vater wurde. In wahrer Millennial-Manier singt sie: „I really want to be the cool aunty like I am to my best friend’s dog.“ In diesen sanften Liedern finden sich Hinweise auf Heilung. Während ein Großteil des Albums von einer folkigen Akustikgitarre getragen wird, zeichnet sich „For You And All The Songs We Loved“ durch seine elektronischen Akzente aus. Mutige Entscheidungen wie diese ergänzen Zietsch’s lyrischen Stil.
Die Skurrilität der visuellen Ästhetik ihres Albums, die musikalisch durch Songs wie „Dinah“ unterstrichen wird, hebt Maple Glider im Indie-Folk-Genre hervor. Es wäre spannend zu sehen, wie Zietsch auf ihrem nächsten Album weiterhin mit verschiedenen Sounds experimentiert. Alles in allem ist „I Get Into Trouble“ ein überragender Hörgenuss für die Herbstsaison. Zietsch’s Lieder sind auf stille Weise niederschmetternd, mit der Brise der Meeresluft und der Wärme einer Tasse Tee.
