
Nachtfahrten voller Saiten und Schatten: KATHRYN WILLIAMS weitet ihr Folk-Universum auf NIGHT DRIVES zu einem filmischen Klangkosmos, in dem Streicher, elektronische Schattierungen und poetische Miniaturen ineinander übergehen.
Kathryn Williams hat in über zwei Jahrzehnten ein Werk aufgebaut, das von intimer Folk-Sensibilität bis hin zu literarischen Projekten reicht. Seit dem Debüt „Dog Leap Stairs“ und der Mercury-Prize-Nominierung für „Little Black Numbers“ hat sie ihre Stimme immer wieder neu verortet, zuletzt in Zusammenarbeit mit Dichterinnen wie Carol Ann Duffy oder inspiriert von Sylvia Plath. Mit „Night Drives“ gelingt ihr nun ein Werk, das über die vertraute Singer-Songwriter-Intimität hinausgeht, ohne deren Substanz aufzugeben. Produziert von Ed Harcourt, entfaltet das Album einen filmischen Sound, bei dem Streicherarrangements und subtile Synth-Flächen eine unerwartete Tiefe schaffen.
Schon der Opener „Human“ irritiert und fasziniert zugleich. Die Frage „Am I human? Yes, I am human“ hallt wie ein Mantra, unterlegt von unruhigen Sounds, die ihr Werk sofort aus der klassischen Folk-Schublade heraustragen. In „Answer in the Dark“ verdichten sich Gitarren und Streicher zu einem schwer atmenden Gebilde, das kathartische Wucht entfaltet. „Chime Like a Bell“ knüpft an vertrautere Songwriter-Muster an, während „Radioactive“ mit pulsierendem Rhythmus und der Zeile „I want this song for you, to ride on the airwaves“ Williams’ Fähigkeit zeigt, intime Gedanken in hymnische Dimensionen zu übertragen. „Moon Karaoke“ wiederum inszeniert kosmische Szenen mit ironischer Melancholie, während „Put the Needle on the Record“ eine überraschend groovige, fast wütende Energie freilegt.
Der Schluss mit „I Am Rich in All That I’ve Lost“ klingt wie ein Rückzug in kontemplative Weite, getragen von Verlust, aber auch von sanfter Erneuerung. Das Cover verstärkt diesen Eindruck: Ein direktes, fast konfrontatives Porträt von Williams, das nasses Haar, Schatten und den Glanz ihrer Lippen mit dem brodelnden Himmel im Hintergrund verbindet. Es wirkt, als stünde sie selbst im Zentrum dieser Nachtfahrten, als Fixpunkt zwischen Dunkelheit und Aufbruch. „Night Drives“ ist kein radikaler Bruch, sondern die Erweiterung eines Repertoires, das längst über schmale Genregrenzen hinausgewachsen ist. Kathryn Williams beweist, dass Experiment und Kohärenz sich nicht ausschließen, sondern neue Intensität erzeugen können.
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag enthält Affiliate-Links. Wenn du über diese Links kaufst, erhält MariaStacks als JPC/Amazon-Partner eine kleine Provision. Für dich bleibt der Preis gleich.
