Jamie Lidell – Compass

Folk Rock, VÖ: Mai 2010

Zu Anfang sei gesagt: Jamie Lidell bleibt auch mit der dritten Veröffentlichung seinen musikalischen wie textlichen Ambitionen treu und lässt das neue Werk ‚ Compass ‚ in einer vielseitigen Schönheit voller Überraschungen erstrahlen. Die Drum-Beats auf dem gleichnamigen Titeltrack sind außergewöhnlich und projizieren den Kampf zwischen einem Schulorchester in einer großen Halle und der beeindruckenden Aufstellung unzähliger Schlagzeuger auf der anderen Seite wieder. ‚ Big Drift ‚ erinnert an Massive Attack mit seiner dichten, halbschlafenden Atmosphäre zu tief liegenden Bässen im vorangegangen Stück ‚ Gypsy Blood ‚. Es herrscht eine elektro-psychedelische Seele auf der ersten Veröffentlichung von Jamie Lidell in diesem Jahrzehnt. ‚ Compass ‚ ist ein angemessener Albumtitel und dringt damit direkt in die tiefe Wildniss der vierzehn Tracks ein. Auf seiner Expedition durch festsitzendes Gestrüp wurde Jamie Lidell von seinen Freunden Beck, Feist, Gonzales, Chris Taylor von Grizzly Bear und Pat Sansone von Wilco begleitet. Dementsprechend spannend gestaltet sich die Tour, anregend und facettenreich dringen die Eindrücke in unsere Köpfe ein, schaffen Veränderungen, Liebe und die Sehnsucht, selbst einmal an diesen Ort zu stranden.

Jamie Lidell versteht es zudem für die richtigen Songs zu sorgen und erreicht mit ‚ Completely Exposed ‚ den passenden Einstieg in das Album. Es übernimmt den Kompass und weist uns den Weg für die restlichen dreizehn Songs. Natürlich muss auch gesagt werden, dass der beeindruckende Anfang im Jahr 2005 für viel Aufhebens sorgte. Doch fünf Jahre später stapft ‚ Compass ‚ mit einem abgenutzten Schock definitiv mit größerer Nüchternheit durch die Gegend. Der Vorteil daraus ist die entstehende Gelassenheit, es bleibt mehr Zeit die Blicke schweifen zu lassen, das Gesehene auch tatsächlich aufnehmen zu können und damit einen kühlen Kopf zu bewahren. Somit erleben wir einen vollkommen neuen Jamie Lidell, der uns früher in dieser Form überhaupt nicht aufgefallen wäre. So befindet er sich auf ‚ Compass ‚ in ständiger Bewegung, verändert und verwandelt seine Gestalt buchstäblich vor unseren Augern.

Seine Songs wirken dadurch zuckersüß, verbittert, hart, aber auch sensibel. Insgesamt bleiben die Song-Strukturen zwar weniger konventionell, doch werden Sie alte wie neue Fans gleichermaßen zufrieden stellen. Der beste Weg bleibt allerdings den herumliegenden Brotkrümmel zu folgen, den Kompass stets nach Norden zu richten und abfallende Blätter von oben fein säuberlich auf die Seite zu räumen. Denn irgendwo auf diesem Pfad, den einst Jamie Lidell mit seinen Freunden erfolgreich bestreiten konnte, ist ein großes und wertvolles Geschenk versteckt.

7.0