Björk – Biophilia

ElectronicExperimental, VÖ: Oktober 2011
Die größten Künstlerinnen der Welt dürften neidisch auf die Vorab-Werbung für BJÖRKs achtes Album BIOPHILIA blicken. Es wurde nicht nur als wichtige Neuerscheinung, sondern als Zukunft der gesamten Plattenindustrie angekündigt.

Ihre Kulissen bei den Shows erinnern nicht selten an eine viktorianische Markthalle, die Stände umkreisen das Publikum mit Ihrem 24-teiligen isländischen Chor, in knalliges blau und Gold eingekleidet ist es jedes Mal wieder eine ungewöhnliches Szenario. Björk selbst erscheint meist in Ihren riesigen Plateauschuhen, Ihr Gesicht in den Farben blau und weiß angemalt und wenn jemand in der Gegend einen großen orangefarbenen und zottigen Hund verloren hätte – auf dem Kopf von Björk würde man Ihn wieder finden. Doch blicken wir auf das neue Werk „Biophilia“ und dem beiliegenden Verzicht von traditionellen Beats und Strukturen. Vielmehr ziehen nun schlanke Linien durch die Mondzyklen, es winken erdgebundene oder außerirdische Wesen, während uns der Opener „Moon“ ein Verbot vor dem Ende des klanglichen Spektrums entgegenhält. Das neue Projekt „Biophilia“ verhält sich dabei weniger wie ein traditionelles Konzert und vielmehr wie eine Demonstration zischender und musikwissenschaftlicher Ideen. „Thunderbolt“ heißt das nächste Stück und zückt bereits erneut einen knisternden Trumpf aus dem Ärmel.

Synths werden bedrohlich bis zum Ende ausgespielt und glänzen Ihrerseits mit dem Einklang der überirdischen Stimme von Björk. Wenn „Volta“ Björk’s Antwort auf ein kommerzielles World-Dance Album war, bietet „Biophilia“ relativ wenige Möglichkeiten für den gelegentlichen isländischen Neubekehrten. Doch für diese Minderheit gibt es Hoffnung: das traumhafte „Crystalline“ ist der einzige Song mit einem erkennbaren Refrain und Melodie. „Cosmogony“ setzt kompromisslos Befehle in die Tat um, gefolgt von sprudelnden Gesängen aus dem herabblickenden Himmel. „Dark Matter“ digitalisiert orchestralische Arrangements zu tiefsitzenden Bässen, während „Hollow“ und „Virus“ nüchtern und sachlich eine schnelle Nummer schieben. „Mutal Core“ gestaltet in liebevoller Handarbeit tektonische Platten unter unseren Füßen und erzeugt mit seiner mächtigen Ideologie eine Notwendigkeit und zugleich eine Neuheit.

„Biophilia“ ist ein lobenswertes Experiment ohne anschmiegsame Zugänglichkeiten, ein berauschendes Symposium. Auch ist und war das Zusammenspiel von der Maschine erzeugten Töne und der natürlichen Kraft Ihrer menschlichen Stimme schon immer eine feste Konstante in ihrer Arbeit, die besonders stark auf „Medúlla“ im Jahr 2004 erforscht wurde. „Biophilia“ ist der Kristallisationspunkt einer bizarren und natürlichen Welt, ein ritueller Tanz zwischen schwer verständlichen Überlegungen und rührender Einfachheit. Ihre Songs, auf der zellulären Ebene eingespielt, sind letztlich gefüllt mit Liebe, Großzügigkeit und Verwunderung.

8.7