PJ Harvey – I Inside the Old Year Dying

Folk, VÖ: Juli 2023
Wie der Titel vermuten lässt, fühlt sich I INSIDE THE OLD YEAR DYING wie ein Produkt von PJ HARVEYs Kokon an, das sich in einen Raum vergräbt, der sich geschützt und von Relevanz oder Aktualität losgelöst fühlt, während Zeit und Raum verkümmern. Damit hat sie ihr betörendstes Werk geschaffen.

Mit „Let England Shake“ und „The Hope Six Demolition Project“ dokumentierte PJ Harvey unruhige Zeiten in der Welt; Auf „I Inside the Old Year Dying“ präsentiert sie eine ganz eigene, faszinierende Welt. Es erzählt eine Geschichte, die ganz Harvey gehört, ihre eigene okkulte Ordnance Survey-Karte, tief im Boden versenkt, wo sie aufgewachsen ist. Mit ein paar Modifikationen und Bearbeitungen sind die Texte zu diesen Liedern Stücke aus Orlam, dem Gedichtzyklus, den Harvey letzten April veröffentlichte. In Interviews mit Harvey zu Beginn der 90er-Jahre kam oft ihre Faszination für ihre Kindheit als Bauernmädchen in Dorset zum Ausdruck – nicht zuletzt ihre Erzählungen über die Lämmerkastration, eine Handlung, die in diesen Gedichten vorkommt.

Mit Orlam hat sie diese Vergangenheit zurückerobert und eine ebenso erdige wie ätherische fiktive Welt geschaffen, deren feuchte, dornige Landschaft so lebendig dargestellt ist, dass man das Gefühl hat, nach der Lektüre sei eine Tetanusimpfung erforderlich. Das Buch erzählt ein Jahr im Leben eines Mädchens aus Dorset namens Ira-Abel Rawles, das die Perversität bestialischer Männer erduldet, sich in den Geist eines englischen Bürgerkriegssoldaten – teils Christus, teils Elvis – verliebt und auf zweideutige Weise ihre Kindheitsunschuld ablegt . All dies fließt in „I Inside The Old Year Dying“ ein, wobei die komplexe, auf den Charakteren basierende Erzählung notwendigerweise entfernt wurde, um den Fokus auf umfassendere Themen wie Tod und Wiedergeburt zu lenken.

Harvey verbindet auf den zwölf neuen Songs Intimität und Experimentelles, um etwas aufregend Einzigartiges zu schaffen. Natürlich pastoral und poetisch, aber mit Momenten des Unbehagens und explosiven Ausbrüchen. Es folgt dem Trend, dem sie seit „White Chalk“ von 2007 folgt, und ist ein Spiegel für dieses grüne und komplizierte Land, das wir unser Zuhause nennen, aber hier klingt sie wohler in ihrer Haut. Weniger performativ, weniger eine Figur, die sie verkörpert, um eine Geschichte zu erzählen, eine Rückkehr zu etwas Persönlicherem und Nachdenklicherem. Man kann sich fast vorstellen, dass Harvey sich im West Country zurücklehnt, Melodien vor sich hin summt und hier und da das eine oder andere Wort hinzufügt, wie es ihr passt. Das gesamte Projekt strahlt eine ruhige Zuversicht aus.

8.1