Bettye LaVette – Lavette!

R&BSoul, VÖ: Juni 2023
Die Sängerin BETTYE LAVETTE beginnt ihr sechstes Jahrzehnt als Musikerin, ohne die geringsten Anzeichen, sich zur Ruhe setzen zu wollen.

Großartige Soulsängerinnen sind nicht unbedingt auch großartige Texterinnen. Das ist bei der R&B-Veteranin Bettye LaVette der Fall, die ihr Material nicht selbst niederschreibt, aber dennoch ein Auge und ein Ohr für hochwertige Melodien hat. Seit ihrem Comeback im Jahr 2003 hat es ihr in den letzten zwanzig Jahren gute Dienste geleistet. Im Laufe dieser Zeit hat sie Lieder aufgeführt, die von einer Vielzahl der besten Musiker verschiedener Genres geschrieben wurden, von Lucinda Williams und Dolly Parton bis hin zu Neil Young, Sly Stone und Paul McCartney. Bob Dylan war auch ein beliebter Ansprechpartner für LaVette, der seinen Kompositionen ein ganzes Album aus dem Jahr 2018 mit dem Titel „Things Have Changed“ widmete.

Daher ist LaVette’s Entscheidung, zum zweiten Mal ein weiteres komplettes Set einem einzigen Songwriter zu widmen, eine große Sache. Hier kommt der erfahrene Musiker/Sänger/Songwriter Randall Bramblett ins Spiel. Ausschlaggebend für LaVette’s jüngsten Erfolg ist die eigenwillige Kraft ihrer Stimme. Die gebürtige Frau aus Detroit, die in den 1960er- und 1970er-Jahren Zeit sowohl bei Atlantic als auch bei Motown verbrachte, war die seltene R&B-Künstlerin, die nicht in der Kirche auftrat und über keine formelle Ausbildung verfügte. Stattdessen fühlt sich ihr Gesangsstil sowohl herrlich ungezähmt als auch äußerst einfallsreich an, was jede Melodie, die sie singt, unverwechselbar macht. 

Auf „LaVette!“ entscheidet sie sich dafür, Lieder des kriminell unterschätzten Singer-Songwriters Randall Bramblett zu covern. Es kann also ein Segen und ein Fluch zugleich sein, dass viele von uns mit diesen Liedern nicht so vertraut sind wie mit einigen der Künstler, die sie in der Vergangenheit interpretiert hat. LaVette sagt über Bramblett: „I think he’s the best songwriter I’ve heard in the past 30 years, and I just discovered him eight years ago.“ Ihr Produzent und heutiger Schlagzeuger der Rolling Stones, Steve Jordan, weist darauf hin, dass für LaVette’s Aufnahmen die vielseitigste und präziseste Band benötigt wird, da sie ihr Herz und ihre Seele in jeden Auftritt steckt und es möglich ist, nur ein oder zwei Takes zu machen. Durch das Zuhören wissen wir alle, dass sie dem Lied ihren Stempel aufdrückt und so viel Eigentum beansprucht, dass das Original zeitweise kaum wiederzuerkennen ist.

Zum Glück ist „LaVette!“ die mit Abstand schlichteste LP, die die Sängerin in den letzten zwei Jahrzehnten herausgebracht hat, und das ist umso besser. Hier brutzeln die 11 Songs mit einer festen Kernband, zu der auch der Bassist Pino Palladino gehört ( Eric Clapton, John Mayer Trio), Multiinstrumentalist Larry Campbell (Bob Dylan, Levon Helm) und eine Spitzenbläsersektion unter der Leitung des Saxophonisten James Carter. Man hat das Gefühl, dass LaVette diese Songs wirklich zu ihren eigenen machen kann, anstatt sie nur neu zu erfinden. Vom rebellisch beharrlichen Geist von „Don’t Get Me Started“ und „Plan B“ bis hin zu den tiefgründigen Country-Soul-Balladen wie „Concrete Mind“ und „I’m Not Gonna Waste My Love“ wirkt die Sängerin geradezu elektrisierend und lebendig, die in ihrem 77. Lebensjahr neue kreative Höhen inmitten altbekannter Themen findet.

8.0