RADIOHEAD sprengen mit KID A die Grenzen von Rock und Elektronik: Ein verstörendes Meisterwerk zwischen Entfremdung, Soundexperiment und visueller Kälte.
Mit „OK Computer“ hatten sich Radiohead endgültig von gängigen Rockmustern emanzipiert, doch mit „Kid A“ betreten sie eine völlig andere Sphäre. Statt Gitarrenwänden und hymnischen Refrains öffnet sich hier ein elektronisches Universum, das so wenig mit traditionellem Rock zu tun hat, dass Vergleiche fast sinnlos erscheinen. Produzent Nigel Godrich lenkt die Band in eine Welt, in der Sampling, digitale Verfremdung und orchestrale Eingriffe gleichberechtigt neben Thom Yorke’s fragiler Stimme stehen. Der Entstehungsprozess war geprägt von Brüchen, von Yorke’s öffentlich geäußertem Ekel gegenüber dem eigenen Ruhm, und genau dieser innere Konflikt hallt in den Songs wider.
Schon der Auftakt „Everything in Its Right Place“ klingt wie ein kodiertes Signal aus einem unbekannten Orbit: Yorke’s Stimme wird zerschnitten, verschluckt, wiederholt, bis sie sich kaum mehr von den elektronischen Schichten trennen lässt. Im Titelstück „Kid A“ blinken Vocoder-Fetzen auf, die mehr an ein Kinderlied aus einer anderen Dimension erinnern. „The National Anthem“ ist das pure Gegenteil: ein wütender Basslauf, der sich unter einem chaotischen Bläserorkan windet, während Yorke verzweifelt „Turn it off!“ schreit. Es ist ein Moment, in dem die Kälte der Cover-Ästhetik – gezackte Berge wie digitale Eislandschaften – musikalisch eine Entsprechung findet.
„How to Disappear Completely“ führt die Spannung ins fast Unirdische, wenn Yorke haucht: „I’m not here, this isn’t happening“. Streicher betonen nicht Größe, sondern Zerbrechlichkeit. „Idioteque“ wiederum zerrt Techno und Apokalypse in die Rocktradition, als wäre ein Überlebenssignal im Club übriggeblieben. „Optimistic“ wirkt wie ein letzter Gruß an frühere Tage, mit Gitarrenriffen, die sich jedoch sarkastisch selbst kommentieren: „The best you can is good enough.“ Das Albumcover, entworfen von Stanley Donwood und Yorke selbst, spiegelt diese Kälte und Isolation. Schneidende Bergketten, ein digital verfremdeter Himmel, entfernt lodernde Feuer – alles wirkt zugleich monumental und bedrohlich.
„Kid A“ ist weniger eine Sammlung von Songs als vielmehr ein Zustand: der Versuch einer Band, die eigene Identität zu zerstören und in den Trümmern eine neue Form zu errichten.
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