Zwischen ritualisierter Intimität und avantgardistischer Klarheit: ROSA ANSCHÜTZ öffnet mit SABBATICAL einen Klangraum, der Erinnerung, Körper und Stimme neu verhandelt.
Rosa Anschütz hat in den letzten Jahren eine unverwechselbare Position im Spannungsfeld zwischen Darkwave, experimenteller Elektronik und performativer Poesie aufgebaut. Mit „Sabbatical“, ihrem vierten Studioalbum, das über das US-Label Heartworm Press erscheint, verabschiedet sie sich endgültig vom reinen Clubkontext und wählt stattdessen eine Form, die persönlicher und zugleich universeller wirkt. Bereits die Eröffnung mit „Eva“ macht klar, wohin die Reise führt: Anschütz deklamiert „Breaking through the channels of life“ über eine fragile Textur, die eher an liturgische Rezitation erinnert als an konventionelle Songstruktur.
Die Berliner Künstlerin, die einst durch den Kobosil-Remix von „Rigid“ ungewollt ins Rampenlicht der Technoszene geriet, nutzt das neue Album als Bruch und zugleich als Kontinuität. Ältere Stücke wie „Plaster Copy“ oder „Watch Me Disappear“ wurden neu aufgenommen, wodurch die elfjährige Entstehungszeit eine seltsame Spannung zwischen Rückschau und Gegenwart erzeugt. Songs wie „Chase Pioneers“ oder „Like Oxblood“ tragen diese Ambivalenz weiter, sie wechseln zwischen asketischer Reduktion und eruptiven Steigerungen. Die Zusammenarbeit mit Kevin Kuhn am Schlagzeug verleiht den Arrangements eine organische Schärfe, die sich in „Fire Lily“ oder „Sun Tavern“ besonders deutlich entfaltet.
Auch das Cover von „Sabbatical“ verweigert klassische Schönheitsideale. Statt inszenierter Symbolik zeigt es eine spontane Momentaufnahme: ein Passfoto, Schlüssel, Medikamente, Lippenstift. Die nüchterne Direktheit verweist auf die Intimität der Texte, die Themen wie Weiblichkeit, Identität und Erinnerung nicht ästhetisieren, sondern konfrontieren. Anschütz selbst formuliert es in einem Interview so: „Ein Sabbatical heißt, sich dem Fluss und dem Wahnsinn hinzugeben und ihn bewusst zu durchqueren.“ Dieser Fluss wird musikalisch spürbar, wenn zwischen den Stücken Gedichte aufscheinen, Stimmen verzerrt oder gedoppelt werden und sich die Arrangements wie Kokons öffnen und wieder schließen.
„Sabbatical“ ist kein leichter Zugang, es ist ein Album, das Zeit verlangt und durch seine spröde Schönheit belohnt. Gerade weil es die eigene Vergangenheit integriert, ohne nostalgisch zu werden, wirkt es wie ein selbstbewusster Aufbruch. Rosa Anschütz beweist damit, dass künstlerische Autonomie nicht im Rückzug, sondern im bewussten Risiko liegt.
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag enthält Affiliate-Links. Wenn du über diese Links kaufst, erhält MariaStacks als JPC/Amazon-Partner eine kleine Provision. Für dich bleibt der Preis gleich.