Marissa Nadler – The Saga of Mayflower May

Folk, VÖ: Januar 2005
MARISSA NADLER ist eine talentierte bildende Künstlerin, die ihre Texte auf natürliche Weise mit Farbe füllt.

Auf ihrer neuesten Platte „The Saga of Mayflower May“ ist das Songwriting genauso stark, vielleicht sogar noch stärker als auf ihrem Debüt. Marissa Nadler klingt ein bisschen selbstbewusster in ihrem Stil, und vermeidet damit den gleichartigen Sound, der ihr Debüt etwas beeinträchtigte. Tatsächlich hilft es so sehr, dass die Arrangements auf diesem Album sogar noch spärlicher ausfallen können, wobei die meisten Stücke nur mit Akustikgitarre besetzt sind, obwohl es immer noch ein paar Stücke gibt, die andere Instrumente enthalten, wie zum Beispiel die Tin Whistle bei „Little Famous Song“, oder die Hammond-Orgel von Mr. John Lee, geschmackvolle Einfügungen, die die Sache interessant machen. Und wie immer ist da Nadler’s atemberaubend schöne Stimme.

Wenn man nicht gewusst hätte, dass es sich um eine zeitgenössische Veröffentlichung handelt, könnte man schwören, dass es sich um eine Neuauflage aus den späten 1960er Jahren handelte, ein verstecktes Juwel, das wahrscheinlich schon damals veraltet geklungen hätte. Tatsächlich ist Marissa Nadler eine neue Künstlerin und dies ist ihr zweites Album. Manche mögen ihre zarte, fingergezupfte Folkmusik als Retro abtun, aber diese als zeitlos zu beschreiben, ist treffender. Marissa Nadler ist eine Künstlerin in mehr als einer Sparte, und wenn sie nicht singt, schafft sie bildende Kunst – Gemälde, Leuchtkästen und Holzarbeiten. Diese Hingabe an das Handwerk und nicht das Streben nach Ruhm macht sicherlich einen Teil ihrer Anziehungskraft aus.

Als Sängerin ist Nadler deutlich weniger eigenwillig als ihre Mitstreiterinnen wie Joanna Newsom oder Josephine Foster, und hier pendelt sich ihr düsterer, lebendiger Sopran diffus zwischen Zeitgenossen wie Hope Sandoval und Chan Marshall und 60er-Jahre-Folks wie Vashti Bunyan oder Mimi Farina ein. Auf diesen 11 Titeln sind ihre Arrangements einfach und trocken gehalten und bestehen typischerweise nur aus ihrer 12-saitigen Gitarre und gelegentlichen Orgel-, Ukelele- oder Flötenbegleitungen. Mit dieser spärlichen Instrumentierung, die einen dezenten Hintergrund bildet, klingt Nadler im Laufe des Albums zunehmend entspannter und selbstbewusster, und jeder Auftritt sprüht vor eindringlichen, regengepeitschten Emotionen. 

Titel wie „The Little Famous Song“ und „Horses and Their Kin“ zeichnen sich außerdem durch faszinierende wortlose Passagen aus, in denen es fast so klingt, als würde sie versuchen, mit ihrer Stimme dem einsamen Schimmer einer singenden Säge nahezukommen. Vielleicht wäre es interessant, wenn Marissa Nadler’s markante Stimme, ihr meisterhaftes Spiel und ihr Talent für eindringliche Melodien in einem Bandkontext gehört würden, aber im Moment sind diese beiden Solowerke eindrucksvolle Charmeure, die ein begeistertes Publikum verdienen.

7.6