
THE SMILE
Zwischen Groove-Fieber, Dread-Poesie und nächtlicher Glut: warum das neue Album von THE SMILE als zweites 2024er-Statement zwischen Art-Rock, Jazzimpulsen und seltsam funkelnder Leichtigkeit seine eigene Logik baut.
The Smile treten mit „Cutouts“ hörbar befreit auf, obwohl die Vorgeschichte schwer wiegt: Thom Yorke und Jonny Greenwood wollten nicht noch einmal die monolithische Erwartung an ein Radiohead-Album bedienen, sondern Bewegung erzwingen, live erprobte Skizzen verdichten, mit Tom Skinner Rhythmen schärfen. Produziert von Sam Petts-Davies, teils in Abbey Road, teils im ländlichen Oxfordshire, wirkt diese Platte wie der hellere Zwilling von „Wall of Eyes“, doch ohne Restekiste. Das Trio sortiert seine Ideen nicht zu Alben, sondern zu Zuständen. „Foreign Spies“ öffnet den Raum als schwebendes Tableau aus Pads, Delay-Fahnen, einem Moog, der eher pulst als führt. Danach zieht „Instant Psalm“ die Bewegung an die Akustikgitarre, während die London Contemporary Orchestra-Streicher atmen. Yorke singt verhangen, fast flüsternd, und setzt Textzeilen wie Haltepunkte: „Emptiness has many forms… yes is not a real yes.“ Der Song erzählt weniger eine Geschichte, eher einen Luftraum, in dem Einsamkeit Klang wird.
Der Kern liegt dort, wo The Smile ihren Groove auf Kante fahren. „Zero Sum“ schneidet ein, hektisch, zackig, mit ägyptisch gefärbten Skalen und einem Baritonsax, das Druckpunkte setzt; Skinner legt einen elastischen 5/4-Unterbau, Greenwood verschachtelt Gitarren zu einem Sägewerk, das trotzdem atmet. „Eyes & Mouth“ rollt jazzig, Yorke’s Kopfstimme funkt darüber, als Dialogpartner der Snare. „No Words“ spannt seine Bilder über politische Müdigkeit, dann bricht die Zeile „You join the dots and you color in“ durch: plötzlich steht man in einem Refrain, der nicht explodiert, sondern sich wie ein Netz schließt. Nicht alles trägt gleich weit. „Don’t Get Me Started“ bleibt im Mantra „Your force means nothing“ stecken, die Synth-Flächen wirken gegenüber den Live-Versionen statisch. „Foreign Spies“ ist atmosphärisch stark, verliert jedoch an Kontur, sobald Skinner hinter die Textur rückt. Genau dort zeigt sich die Grenze dieses Ansatzes: Songs wachsen als Prozesse, finden selten klassische Dramaturgie, suchen stattdessen Zustandswechsel.
Das kann faszinieren, verlangt aber Aufmerksamkeit und Geduld. Die Titellogik schiebt eine Deutungsebene: Yorke stolperte über den Geheimdienstbegriff „cutouts“, diese zweidimensionalen Vermittlerfiguren. Das Album spiegelt diese Welt der Stellvertreter, in der Diskurse über Avatare laufen. „The Slip“ züngelt mit Panik-Beats, „Bodies Laughing“ tarnt Paranoia als Easy-Listening-Schimmer. Dazwischen steht „Tiptoe“ als stilles Zentrum, eine Piano-Ballade mit Streichern, zart vibrierender Falsettlinie, die den Blick hebt, obwohl sie Unheil skizziert: „We are just baggage with no label… you will find us in the rubble.“ The Smile halten das Spannungsverhältnis aus Unruhe, Witz, Bass-Tiefdruck und feinem orchestralen Pinsel. Das Cover rahmt diese Musik schlüssig: ein mitternachtsblaues Firmament über violetten Hügeln, zwei glühende Kreise wie Sonne und Echo, darunter grüne Spill-Flächen.
Nächtliche Temperaturunterschiede, Splitter-Funken, eine abgerissene Kante zwischen Licht und Schatten. So hören sich „Zero Sum“ und „Colours Fly“ an: dunkle Fläche, darin orange Stöße, die Rhythmus aufreißen. The Smile verweben Jazz-Vokabular, krautige Motorik, Art-Rock-Dramatik; Yorke’s Falsett bleibt beweglich, oft fein dosiert, gelegentlich zu unentschlossen, wenn der Song keine finale Kurve nimmt. Der Reiz entsteht, wenn Skinner’s Mikroartikulation die Form zusammenzieht. Schwächen treten auf, sobald Groove zur Textur schrumpft: dann kippt die Platte in schönen Stillstand.
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag enthält Affiliate-Links. Wenn du über diese Links kaufst, erhält MariaStacks als JPC/Amazon-Partner eine kleine Provision. Für dich bleibt der Preis gleich.
