DIE NERVEN schichten Zorn, Müdigkeit, urbane Kälte zu einem unerbittlichen Klangkörper, der jede vermeintliche Sicherheit zerbricht. Die Songs schimmern zwischen Starre und Ausbruch. Die Texte graben ohne Rücksicht auf Wohlgefühl. Die Gitarren setzen Schneisen. Dieses Album fordert jede Sekunde Aufmerksamkeit.
Der dritte Longplayer des Trios wirkt wie ein streng verdichtetes Protokoll ihrer bisherigen Entwicklung, die im Esslinger LoFi Umfeld begann und sich über internationale Festivalerfahrungen zu einem eigenständigen Profil verdichtete. Der Ruf, den sie seit den frühen Jahren tragen, entsteht aus einer Mischung aus radikaler Direktheit und nüchterner Beobachtung. Die neue Platte führt diesen Ansatz weiter und rückt die Distanz ihrer Stimmen noch stärker in den Vordergrund. Das Cover zeigt eine Übergabe eines dunklen rechteckigen Gegenstands in zwei kargen Händen. Diese Geste erinnert an ein stilles Abhängigkeitsverhältnis. Die Kälte der Szene schwappt unmittelbar in die Musik.
Der Einstieg mit „Die Unschuld in Person“ setzt das Leitmotiv. Die Zeilen tragen ein fast dokumentarisches Gewicht. Der Satz „Ein Schatten auf den Straßen“ verdichtet das Thema der Entfremdung. Die Instrumentierung bleibt schroff und kalkuliert, obwohl gelegentlich ein warmer, fast trügerischer Schein in den Gitarren auftaucht. „Barfuß Durch Die Scherben“ arbeitet sich an einer unwirklichen Topografie ab und nutzt Wiederholung als Druckmittel. Die Stimme legt sich wie ein filmischer Kommentar über das dröhnende Fundament. „Jugend Ohne Geld“ und „Dreck“ kreisen um alltägliche Erschöpfung. Die Produktion zieht alle Räume eng zusammen. Der Bass wirkt rastlos und trägt den Kern des Albums, das sich gegen jede Form von Eleganz sperrt.
„iPhone“ liefert einen der prägnantesten Sätze der Platte. „Das alles ist nicht echt“ bildet eine nüchterne Diagnose einer Gesellschaft, die an ihrem eigenen Lärm vorbeilebt. Der Track „Den Tag Vergessen“ legt strukturelle Trägheit offen und zitiert scharf „Manche haben sich was in die Ohren gesteckt“. „Gerade Deswegen“ erreicht den intensivsten Moment der Platte. Die Spannung zwischen resignierten Strophen und eruptiven Gitarren hält den Song in einem Zustand dauernder Unsicherheit. „Wüste“ wirkt wie ein kurzer Lichtstrahl. Die warmere Tonfolge bleibt jedoch ein Irrtum. Die folgenden Stücke ziehen den Vorhang sofort wieder zu. „Ich Habe Gelogen“ entfaltet eine hypnotische Wirkung. „Hast du was gesagt“ schließt in völliger Emotionserschöpfung und entzieht sich jeder Auflösung.
Dieses Album besitzt klare Stärken im Umgang mit Dynamik. Gleichzeitig fällt auf, dass manche Passagen zu lange im gleichen Modus verharren. Nicht jede Zeile trägt denselben Tiefenschärfegrad. Der sprechnahe Gesang bleibt streckenweise zu flach, um die schweren Themen vollständig zu tragen. Trotzdem lässt sich der Ernst dieser Musik kaum überhören. Die Nerven schaffen keinen großen Innovationssprung, sondern eine präzise Bestandsaufnahme eines Zustands, der weder Hoffnung noch endgültige Verzweiflung zulässt. Der Klang wird zum Brennglas eines Landes, das sich an sozialer Kälte abarbeitet.
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