
Zwischen Basketball, Abschied und schwebender Melancholie: BLOOD ORANGE verbindet auf ESSEX HONEY urbane Kindheitserinnerungen mit intimen Songskizzen zu einem still vibrierenden Album voller Brüche, Trauer und unaufdringlicher Schönheit.
Blood Orange kehrt mit „Essex Honey“ zurück in die Räume, die ihn geprägt haben. Nach Jahren in New York und unzähligen Kollaborationen – von Solange bis FKA Twigs – legt Dev Hynes sein bisher intimstes Album vor. Es ist ein Werk, das die Spuren von Verlust und Heimkehr trägt, aber auch den Willen, die eigene Geschichte durch Musik neu zu umkreisen. Der Tod seiner Mutter bildet den Schatten, unter dem diese Songs entstehen, doch sie strahlen nie in Pathos, sondern in einer warmen, flackernden Zurückhaltung. „Light was just for hope and it keeps flickering, I just want to see again“, singt Hynes in „Somewhere in Between“ und fasst damit die fragile Stimmung der Platte in eine schlichte Zeile.
Musikalisch bleibt die Handschrift unverkennbar: abrupte Brüche, Celli, die eher stören als schmücken, Harmonien, die sich wie scheue Gäste in die Stücke schleichen. In „Thinking Clean“ kollidieren Klavier, Hi-Hats und improvisierte Streicher, bevor der Song in sich zusammenfällt. Doch gerade diese Sprödigkeit verleiht dem Album seine Kraft. Anders als frühere Werke wie „Cupid Deluxe“ wirkt „Essex Honey“ kohärenter, gebunden durch einen melancholischen Grundton, der die unterschiedlichen Klangfarben zusammenzieht. Auch die Gäste – Caroline Polachek, Mustafa, Lorde, Brendan Yates oder die überraschend eingesetzte Zadie Smith – treten nicht in den Vordergrund, sondern fügen sich in den Strom der Stücke.
Wenn Lorde in „Mind Loaded“ Elliot Smith zitiert – „everything means nothing to me“ – entfaltet sich ein kurzer Moment radikaler Verletzlichkeit, der lange nachhallt. Das Cover mit dem Schüler in Schuluniform, Basketball unter dem Arm, Krawatte im Wind, verstärkt die Themen: Kindheit, Verlust, Aufbruch. Die Backsteinmauer, die geduckte Haltung, der Blick nach unten – sie spiegeln das Innehalten, das auch die Songs prägt. „The Train (King’s Cross)“ klingt fast nostalgisch wie eine alte Indie-Pop-Single, während „Life“ eine funkige, verlangsamte Nachtmusik anstimmt, irgendwo zwischen Prince und Trauerarbeit. Immer wieder schleichen sich Erinnerungen ein, wie in „Westerberg“, wo Hynes die Melodien anderer Künstler aufnimmt und in sein eigenes Geflecht aus Trauer und Sehnsucht hineinzieht.
„Essex Honey“ ist kein Album, das um Aufmerksamkeit ringt. Es braucht Zeit, wiederholt gehört zu werden, um seine Kraft zu entfalten. Doch wer sich darauf einlässt, findet darin eine eindringliche Meditation über Herkunft, Verlust und das fragile Licht, das auch in den dunkelsten Räumen aufflackern kann. Blood Orange hat ein Album geschaffen, das zugleich persönlich und universell klingt, leise und unvergesslich.
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