Baby Rose – Through and Through

Alben der WocheR&BSoul, VÖ: Mai 2023
THROUGH AND THROUGH ist eine faszinierende Erkundung von Sound, Lyrik und Musikalität, die sich behaupten kann. Wahres Talent ist schwer abzutun, und ihr zweites Album zeigt uns, dass BABY ROSE nicht übersehen werden sollte.

Was bedeutet es zu sagen, dass ein Musikstück klingt, als käme es aus einer anderen Zeit? Dass ein Geist oder eine uralte Seele es erschaffen hat? Dass sie die Tradition der Moderne vorzieht? Dass es nicht algorithmisch klingt, sondern irgendwie authentisch (was auch immer das heißen mag)? All diese Aussagen treffen auf das psychedelische Soul-Album „Through and Through“ von Baby Rose zu. Doch das zweite Album der in Atlanta lebenden Musikerin klingt nicht nur wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit; es könnte aus einer anderen Zeitlinie stammen. Es lebt in der schwimmenden Nichtexistenz verlorener Zukünfte: Lebenszeiten, die nur in Hoffnung und Projektion gelebt wurden, Schwärmereien, die sich nie in Beziehungen manifestierten, Lieben, die sich nie in Babys materialisierten.

Der eröffnende Track „Go“ ist hypnotisch: zart und leidenschaftlich gibt er den Ton für den Rest des reichhaltigen Albums an. Rose webt ihre tröstende Stimme durch Schleifen und Wendungen von verlorener und gefundener Liebe. „Dance With Me“ bringt uns dazu mit den Hüften im romantischen Rhythmus zu schwingen. Der Groove auf „I Won’t Tell“ hält uns in der gleichen wundervollen Schwingung und „Love Bomb“ ist der perfekte Song, um ihn heimlich der großen Liebe vorzuspielen. „Stop The Bleeding“ ist ein erstaunlicher Track voller Leidenschaft und das herausragende „Paranoid“ erkundet die mentale Qual, sich an einer Kreuzung festgefahren zu fühlen, unsicher, wohin man gehen soll. 

Ein sich wiederholendes und widerhallendes Gitarrenmotiv erzeugt ein Gefühl des Unbehagens und schafft gleichzeitig eine perfekte Atmosphäre, die sowohl akustisch angenehm ist als auch ihre Texte der Angst verstärkt. Erst bei „Water“, dem vorletzten Song, erreichen Rose’s Stimme und die Arrangements der Songs eine Art Entspannung. Rose verliert langsam ihre Präsenz, der Kies ihrer Stimme wird vom Dunst aus chorusartiger Gitarre und schwindligem Bass davongetragen. Sie entspannt sich in einen friedlichen Zustand der Akzeptanz, gibt ihr Gefühl der Kontrolle auf und gibt das Ruder der Flut hin. „Let’s be water“ singt sie, das Rauschen der Wellen treibt sie in die Zukunft und zieht sie in eine andere Zeit.

Die in Fayetteville aufgewachsene Künstlerin ist erst 28 Jahre alt, doch ihre eindringliche Stimme scheint Leben überdauert zu haben. In ihren Knochen steckt eine Weisheit, die sich in ihre Musik überträgt, ob gesprochen oder gefühlt. Sinnlich und unglaublich befriedigend breitet „Through and Through“ seine Ranken aus und umarmt uns mit verschwenderischer Liebe.

8.6