Wie YEULE mit EVANGELIC GIRL IS A GUN eine posthumane Identität durch düstere Electroclash-Kollagen, Gitarrenfeedback und verletzliche Pop-Hooks dekonstruiert und neu formt.
Sie sitzt da wie ein Schatten aus Chrom: Tättowierte Haut, Lederaccessoires, zerschlissene Strümpfe, die Pistole wie ein toter Engel in der Hand – das Albumcover zu „Evangelic Girl is a Gun“ ist keine bloße Illustration, sondern ein kodierter Zugang zu Nat Ćmiel’s innerer Welt. Als yeule veröffentlicht die in Singapur geborene Künstlerin ein Werk, das gleichzeitig nach Zerfall und Selbstbehauptung klingt. Es ist ihr viertes Studioalbum, aber vor allem ein Statement: Verletzlichkeit ist Waffe, Identität ist Fragment, Pop ist Exorzismus.
Die Reise beginnt mit „Tequila Coma“, einer surrealen Erinnerung an Exzesse und zerfaserte Realitäten – „Naked on the marble floor / all of my lovers crucified on all fours“ –, getaucht in triphoppige Beats und Gitarrensplitter. Schon hier entfaltet sich yeule’s Fähigkeit, Zerbrechlichkeit als ästhetische Kraft zu inszenieren. „The Girl Who Sold Her Face“ ist die seltsam verzerrte Zwillingsschwester zu Paparazzi oder Pretty Hurts, aber weniger Glamour als Fleisch und Maschinenöl. Hier wird die Maske abgerissen, bis darunter nur noch „picture perfect porcelain“ bleibt – bereit zu zerspringen.
Mit „Eko“ gelingt yeule ein paradox euphorischer Popsong, dessen clubtauglicher Refrain auf hypnotische Weise Schmerz und Sehnsucht verschmilzt. Doch wer sich in Sicherheit wiegt, wird bei „1967“ und dem kathartischen Shoegaze-Ende „Skullcrusher“ gnadenlos herausgeschleudert – emotional und akustisch. Die Platte klingt oft wie ein Soundtrack für digitale Reinkarnationen: Cyber-Pop trifft auf Doom, Shoegaze küsst Noise, während yeule zwischen ihren Identitäten flackert wie ein fehlerhaft geladenes Avatar. Zwischen „offline dreams“, psychischer Zersetzung und popkulturellem Aufbegehren streut „Evangelic Girl is a Gun“ bewusst Sand ins Getriebe der glatten Popmaschine.
Das Titelstück, eine dreiaktige Club-Apokalypse mit Sex- und Schönheitswahn-Metaphorik, schreit: „Scream at the sun / Cry when you come“ – das ist kein Empowerment-Track, sondern ein Fiebertraum über die Gewalt, die mit weiblicher Sichtbarkeit einhergeht. Wer yeule’s Werk als lineare Entwicklung versteht, verpasst den Punkt: Dieses Album ist keine Fortschreibung, sondern eine Zertrümmerung. Nach „Glitch Princess“ und „softscars“ ist dies das Kapitel, in dem der Popkörper explodiert, um als cyberfeministisches Phantasma neu geboren zu werden.
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