
RADIOHEAD
Frühe Wucht, unsichere Kanten: Warum RADIOHEAD mit PABLO HONEY zwischen Teen-Angst, Gitarrenstürmen und gelbem Pop-Glanz noch nach Orientierung suchen – eine kritische Rezension mit Blick auf Sound, Cover und die Erzählung hinter Creep.
Radiohead treten 1993 mit einem Debüt an, das die eigenen Ambitionen größer malt als die noch frischen Studiofähigkeiten. Die Jahre als On A Friday, Proben in Abingdon, der Deal mit EMI, dann amerikanische Produzenten wie Paul Q. Kolderie und Sean Slade: Die Strecke zum Album erzählt von Plan und Druck, von drei Wochen Studio, von einer Band, die mehr will als sie bereits kontrollieren kann. „Pablo Honey“ klingt nach Alternative Rock mit Grunge-Schlagseite, nach College-Radio, nach frühen U2-Gesten, die sich an Pixies-Dynamik reiben. Das Material wirkt nicht schwach, nur ungleich: brillante Momente, dann Passagen, in denen die Arrangements dicht werden, ohne atmen zu dürfen.
Der Auftakt „You“ legt das Programm offen: arpeggierte Intro-Zartheit, dann dröhnende Gitarrenwellen, Thom Yorke’s Stimme gleitet vom schmeichelnden Ton in gepresstes Aufbegehren. Der berühmte Zündfunke folgt im zweiten Track. „Creep“ lebt vom Kontrast aus sehnsüchtiger Strophe und den drei berüchtigten Gitarren-Explosionsschlägen, die das „You’re so fuckin’ special“ zerfransen lassen; der Refrain – „I’m a creep, I’m a weirdo, what the hell am I doin’ here?“ – brennt sich als Selbstdiagnose ein, verhandelt Außenseitertum ohne Schutzironien. Das ist stark inszeniert, doch das Album wird ihm kaum ebenbürtig.
„Stop Whispering“ erhebt sich hymnisch, bleibt formelhaft. „Thinking About You“ zeigt Yorke im akustischen Modus, doch der Mix liegt zu schwer auf dem Song. „I Can’t“ trägt eine schöne Melodie, verliert jedoch an Überladung. In „Anyone Can Play Guitar“ schimmert Humor, zugleich Selbst- und Szenekommentar: „Grow my hair, I wanna be Jim Morrison“ – ein Spottbild auf Rockstar-Mythologie, angeschoben von einem chaotisch betörenden Gitarrenhaufen. „Vegetable“ gibt dem Kontrollverlust eine Stimme, „I will not control myself“ schneidet wie ein Geständnis; musikalisch packend, textlich schroff.
„Ripcord“ rast mit federnden Toms und schabenden Riffs voran, „Blow Out“ schließt mit bossa-nova-flirrender Einleitung, anschwellender Noise-Coda und dem Gefühl, hier blitzt die Zukunft auf, die Radiohead später so konsequent formen sollten. Das Cover verweist auf diese Gemengelage: ein grellgelber Blütenkranz, in der Mitte das Schwarz-Weiß-Gesicht eines Babys, umgeben von bunten Zuckerkügelchen. Kindliche Unschuld trifft grelle Oberfläche, unsichere Blicke im Zuckerrausch – eine visuelle Kurzform von Songs, die kindliche Kränkung, aufkeimende Wut, poppige Verführung zugleich berühren.
Zwischen „Creep“ und „Anyone Can Play Guitar“ spiegelt sich genau dieses Spannungsfeld: Verletzlichkeit, die nach Lärm greift, Sehnsucht, die sich an Pose wärmt. Radiohead zeigen, was in ihnen steckt, verraten aber ebenso die Unruhe eines Debüts, das noch keinen inneren Kompass besitzt.
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