
GWENIFER RAYMOND
GWENIFER RAYMOND entfesselt auf STRANGE LIGHTS OVER GARTH MOUNTAIN eine dunkle, walisische Klangwelt zwischen American Primitive, Folk Horror und eruptiver Fingerstyle-Intensität, die ihr zweites Album zu einem unberechenbaren Gesamtkunstwerk macht.
Gwenifer Raymond hat sich schon mit ihrem Debüt „You Never Were Much of a Dancer“ von 2018 als Virtuosin auf der Akustikgitarre etabliert. Doch was damals noch wie eine Verbeugung vor ihren Vorbildern – von John Fahey bis Lead Belly – wirkte, schlägt nun auf „Strange Lights Over Garth Mountain“ in eine eigene Sprache um. In ihrem zweiten Werk spielt sie sich frei von Hommagen und zeigt, wie sich Punk-Energie, walisische Landschaftsbilder und die Tradition des American Primitive zu einer neuen Ausdrucksform verweben lassen. „I still say it’s punk music and I have no idea what key the last tune is in“, sagte sie einmal – eine Haltung, die sich auf jeder der acht Kompositionen spüren lässt.
Schon der Opener „Incantation“ zeigt, wie Raymond Spannung aufbaut: Ein perkussives Intro führt in tiefe, pulsierende Bassnoten, die von einer nervösen Melodielinie durchbrochen werden. Dieses Changieren zwischen Ruhe und Bedrohung zieht sich durch das Album, das in Brighton während der Pandemie aufgenommen wurde, jedoch stark von Kindheitserinnerungen in Wales geprägt ist. „Coal Train Down the Line“ beschleunigt wie eine Lokomotive, die aus dem Nebel der Täler aufbricht, ein Stück, das sich nicht in Traditionen verbeißt, sondern sie zersägt und neu zusammensetzt. „Gwaed am Gwaed (Blood for Blood)“ trägt seine Aggression im Titel, in den schneidenden Tönen lauert eine feindselige Wucht.
Doch neben diesen Attacken stehen Stücke wie „Marseilles Bunkhouse, 3AM“, die mit plötzlichen Rhythmuswechseln ein Gefühl von Paranoia erzeugen, oder „Ruben’s Song“, das mit fast lullabyhaftem Beginn täuscht, um dann in federnde Energie umzuschlagen. Besonders eindringlich wirkt das Titelstück, das seine eigentümliche Sprunghaftigkeit zu einer Art unheimlichem Abgesang steigert. Das Albumcover – Gwenifer Raymond barfuß mit Gitarre, neben einem überdimensionalen Hochzeitstortenarrangement, Puppen als Brautpaar – verstärkt diese schaurig-schöne Atmosphäre. Es wirkt wie eine Szene zwischen viktorianischem Ritual und surrealem Folk-Horror, in der Musik und Bild auf gespenstische Weise korrespondieren.
Genau hier liegt die Kraft des Albums: in der Balance von Präzision und Kontrollverlust, von Virtuosität und dem Drang ins Unbekannte.
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