
AMI TAF RA
Zwischen Gnawa-Puls, Gospel-Schimmer und kosmischem Jazz: AMI TAF RA’s THE PROPHET AND THE MADMAN entfaltet eine spirituelle Reise durch Dualität, Heilung, Ahnenerinnerung – getragen von Kamasi Washington’s Maximalismus, Gibran-Bezügen und einer Stimme, die suchend bleibt statt es sich bequem zu machen.
Nicht wie eine Visitenkarte, sondern wie ein Ritual entfaltet sich das Debüt von Ami Taf Ra. Die in Los Angeles arbeitende Sängerin mit nordafrikanischen Wurzeln verknüpft die trancehaften Patterns marokkanischer Gnawa-Tradition mit dem luftigen Glanz von Gospel sowie der Weite spirituellen Jazz’. Ausgangspunkt sind die Texte von Khalil Gibran, insbesondere „The Prophet“ und „The Madman“. Der Bogen aus Literatur, Migrationserfahrung und Community in Leimert Park verleiht den elf Stücken eine materielle Erdung, obwohl die Arrangements oft nach oben streben. Produzent Kamasi Washington, als Saxofonist mehrfach präsent, setzt sein bekanntes Sinnbild der Fülle ein: Holzbläser, Streicher, Chor, Schlagwerk, doch die Mischung bleibt durchlässig.
In „How I Became a Madman“ jagt ein motorischer Puls nach vorne, die Stimme gleitet, die Bläser stieben, während die Worte aus Gibran’s Liebeskapitel zünden: „Love gives not but itself… Love possesses not“, ein Credo, das zwischen Verletzbarkeit und Befreiung brennt. „The Prophet“ bildet das Herzstück, fast neun Minuten Erzählfluss, in dem die Band eine sanft wogende Fläche hält. Taf Ra phrasiert kontrolliert, stellenweise zu gleichförmig, wodurch die Dramaturgie nicht immer trägt. Dann ein Riss: „A voice cannot carry the tongue and the lips that gave it wings“ – ein Satz, der in ihrer Interpretation wie Selbstadressierung wirkt, denn die Musik ringt spürbar um Distanz und Nähe. „God“ öffnet den Raum für Zweifel, Chor und Call-and-Response holen das Unausgesprochene nach vorne, „But God made no answer“ schwebt ohne kitschige Auflösung.
Die Kollaborationen greifen präzise: Ryan Porter verwebt in „Love“ warmen Posaunenatem mit Gebetsformeln, Brandon Coleman lässt „My Friend“ schimmern, nicht als Showpiece, eher als Zwischenton der Gemeinschaft. „Gnawa“ schärft den Ursprung, gesungen in Darija, rhythmisch dichter, das Saxofon glüht, die Bassfigur kreist, die Stimme wird Beschwörung statt Dekoration. Das Cover bindet diese Reise visuell: ein nachtblauer Kosmos, aus dem die Künstlerin mit geflochtenen Strängen wie mit Sternenfäden herausragt, Metallnägel, bestickte Stoffe, ein Blick, der nicht fordert, sondern ruft. Die Geste der ausgestreckten Hand, halb Segen, halb Bitte, spiegelt die Musik. In „Children“ schwingt dazu der nüchterne Satz „Don’t seek to make them like you / Strive to be like them“, der die Pose am Artwork entmythologisiert: Autorität als Dienst, Tradition als Weitergabe.
Washington’s Sinn für Größe hebt, doch er kaschiert nicht, dass Taf Ra’s Timbre häufig im oberen Register verharrt. Wo die Melodie tiefer atmen dürfte, bleibt sie repräsentativ. Dennoch: Die Platte sucht keine endgültigen Antworten, sie praktiziert Präsenz. Als Methode funktioniert das hervorragend, denn diese Spielart des Jazz ist weniger Klang als Übung. Am Ende steht keine Erleuchtung, sondern ein Schritt, dann noch einer, getragen von einer Band, die ihre Konstellation klug wählt und einem Vokalstil, der mehr flüstert als erklärt.
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