TORI AMOS bleibt das Mädchen, dessen Hintergrund in der europäischen Klavierliteratur sie dazu ermutigte, die unerbittlichen Strukturen des Barock, die weiten spirituellen und melodischen Ausblicke der Romantik und die komplizierten Imperative des Experimentalismus des 20. Jahrhunderts als eine fortlaufende kompositorische Geschichte zu hören.
Jede Künstlerin, die sich mit Katharsis beschäftigt, riskiert, dass ihr Schaffen ausschließlich durch das Prisma ihrer Biografie beurteilt wird. Amos‚ Texte waren immer zu schräg, um so geradlinig konfessionell zu sein, wie ihr Ruf vermuten ließ; Ihre Vorliebe für fragmentierte Poesie, Wortspiele und private Bezüge schien zuweilen den Impuls zu vermitteln, eher zu verbergen als zu offenbaren. Hinweise auf ihre Fehlgeburt finden sich überall in „From the Choirgirl Hotel“, jedoch selten auf einfache Weise. In der elegischen, von Pedal Steel getriebenen Ballade „Playboy Mommy“ bereiten sie den Rahmen für eine nicht ganz richtige Entschuldigung einer „bad mother“ an ihre tote Tochter. Klage, Selbstvorwürfe und Selbstrechtfertigung vereinen sich in einer Charakterstudie einer fesselnden, komplexen Erzählerin, deren emotionaler Höhepunkt mit der Zeile erreicht wird: „I’ll say it loud here by your grave – those angels can’t ever take my place.“
Die schiere Handwerkskunst von „Playboy Mommy“ überrascht – etwas, das auf das Album als Ganzes zutrifft. Mit „From the Choirgirl Hotel“ katapultiert sich Amos aus dem Klavier- und Gesangsmodus, der bisher den Großteil ihrer Arbeit geprägt hatte. Eine Vielzahl detaillierter, von Percussion dominierter Arrangements charakterisieren das Album. „From the Choirgirl Hotel“ ist kein typisches Amos-Album – das wäre die traditionellere Singer-Songwriter-Variante von „Little Earthquakes“. Aber es befindet sich mitten in einer Phase, in der sie die Form scheinbar in alle Richtungen gleichzeitig weiter ausdehnt – intensiver, komplexer, experimenteller – und dabei zu einem noch größeren Ganzen zu werden scheint. Außerdem haben Amos‘ Lieder eine eigene innere Logik. Bislang schien es so, als ob sie sie nur alleine, unterstützt von ihrem Klavier, einer Gitarre oder Streichern, vortragen könnte.
Mit „From the Choirgirl Hotel“ beweist sie, dass sie mit ein wenig Klangexperimenten und Muskelkraft genauso potent und kraftvoll ist wie jede moderne Rockkünstlerin.
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag enthält Affiliate-Links. Wenn du über diese Links kaufst, erhält MariaStacks als JPC/Amazon-Partner eine kleine Provision. Für dich bleibt der Preis gleich.
