GLüME
The Internet

GENRE: Synth Pop KLANGSTART: April 2021


Auch wenn ihr wunderbares, schauriges Cover von Come Softly To Me der Fleetwoods nicht enthalten ist, wird THE INTERNET jeden zufrieden stellen, der von GLÜME’s Singles fasziniert ist.

Glüme’s Hintergrundgeschichte ist ebenso theatralisch wie mysteriös. In ihrer Biografie, die sich selbst als „Walmart Marilyn Monroe“ bezeichnet, heißt es einfach, dass sie ein Kinderstar ist, der zur Sängerin wurde, deren Kampf mit einer Herzerkrankung namens Prinzmetal-Angina ihr einen Blick von außen auf die Welt verschafft hat. Sie sieht aus wie eine Leinwandikone der 30er Jahre und zeigt dennoch ein seltsam puppenhaftes Auftreten. Sie ist eine jener Künstlerinnen, die mit beiden Beinen in das unheimliche Tal gesprungen sind. Ihr Debütalbum greift in ähnlicher Weise auf einen Blade-Runner-ähnlichen Sinn für Retro-Futurismus zurück. Produziert von Johnny Jewel, ist „The Internet“ eine seltsame Mischung aus Hollywood-Glamour und düsterer Italio-Disco, die wie ein neonfarbener Fiebertraum vorbeifliegt.

Sobald der erste Track „Arthur Miller“ loslegt, bekommt man sofort ein Gefühl dafür, wie der Klang dieser Platte für die folgenden elf Songs sein wird. Es ist ein einfaches, aber wunderschönes Lied, auch wenn es nichts Wunderbares oder Tiefes zu sagen hat. Es geht hervorragend in „What Is A Feeling“ über, ein Song, der mit seinem Synth-Pop-Instrumental wie ein perfekt angenehmer 80er-Rückblick klingt, und die fast jenseitigen Gesänge von Glüme tragen weiter zum surrealistischen Sound des Albums bei. Das soll Glüme nicht als unmenschlich bezeichnen, im Gegenteil, ihre Songs graben das Persönliche oft so explizit aus, dass sie ins Universelle überschwappen. 

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Wenn sie auf „Nervous Breakdown“ singt: „I’m scared that I might die again“, ist die Angst greifbar, für sie sicherlich realer als für die große Mehrheit von uns. Nichtsdestotrotz ist es einfach, diese angespannte Angst durch unsere eigenen Ängste anzuzapfen. „Body“ ist ein hypnotisierender Track, das wiederholte Up-Down-Scale-Motiv wirkt wie die Taschenuhr, die vor dem Gesicht der Zuhörerinnen und Zuhörer schwingt. Glüme sagt: „Body’ is about returning from an episode I get with my heart disease; starting to notice each part of my body working again. It’s an intense feeling; you want to be loud; express relief; sadness; feeling powerful but you’re still weak.“ 

Die Texte sind bewegend und greifen wirklich die Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit dieser Erfahrung auf, die Frustration, die dadurch entsteht, dass man die Erfahrung nicht gegenüber Menschen artikulieren kann, die selbst nicht leiden: „I am breathing (I am listening)/I am listening (I can see)/I can see (I can feel)/I can feel (I am bleeding)/I am bleeding (I’m not whispering)/I’m not whispering (It’s a scream).“ Der Rest des Albums nimmt mit Songs wie „Crushed Velvet“, „Blossom“ und „Porcelain“ eine viel synthesizerlastigere Atmosphäre an, die Synthesizer-Effekte und umgekehrte Tape-Sounds verwendet, um Klanglandschaften zu schaffen, die denen von Dr. Who um 1963 ähneln und Bilder aus der Welt von David Lynch heraufbeschwören.

Ein Ausbruch eines Blechbläserensembles unterbricht die Film-Noir-Atmosphäre von „Heatwave“ mit einer hektischen, wenn auch dezenten Gitarrenarbeit, um Glüme’s Lana-artige Darbietung zu begleiten, wenn auch ohne die Raspel. Die orchestrierte Ballade „Chemicals“ schließt „The Internet“ mit der Aufforderung, „play nice“, ab. Glüme behandelt jeden Moment von „The Internet“, als wäre es ihre letzte Chance, ihre Gedanken herauszulassen. Es ist Katharsis und Schrecken zugleich, verschmolzen zu einer so dominanten, übergreifenden Mischung, dass man den Unterschied zwischen beidem nicht mehr wahrnehmen kann. Sie hat Zerbrechlichkeit in etwas Mächtiges verwandelt, und „The Internet“ ist ihr unbestreitbarer, immer schmerzhafter Triumph.

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