Céline Dion – Courage

Pop, VÖ: November 2019

Jahrzehntelang war klar, woran man bei Céline Dion ist. Sie feuerte Power-Balladen ab, sie begeisterte die Massen in Vegas, sie verkaufte Millionen und Abermillionen von Schallplatten. Und sie würde niemals wirklich in Mode sein. Es gab keine unerwartete B-Seiten, mit denen DJs die Tanzfläche verzauberten, kein Konzeptalbum und doch passierte es: Céline Dion wurde irgendwie hip. Rapper wie Drake und Desiigner standen an, um sich bei den Billboard Music Awards 2017 mit ihr fotografieren zu lassen. Lil Uzi Vert machte dagegen kein Selfie, sondern veröffentlichte direkt ein Instagram-Video, in dem er und Machine Gun Kelly einen Joint rauchten, während Dion auf der Bühne stand, und verkündete, dass ihr Auftritt von My Heart Go On „beautiful“ ist. 

Sie war das Highlight auf der diesjährigen Pariser Modewoche und trug eine Vielzahl atemberaubender Couture-Outfits. Jüngere Designer wollen offenbar unbedingt mit ihr zusammenarbeiten. Es gibt unzählige Theorien darüber, was passiert ist, von der öffentlichen Anteilnahme für den Tod ihres Mannes bis hin zur Nostalgie für die weniger komplizierten neunziger Jahre. Sicherlich geschah das alles, ohne dass Dion ihre musikalische Herangehensweise wirklich änderte. Die Besetzung zu ihrem letzten Album, „Loved Me Back to Life“, enthielt Sia und Tricky Stewart, eine Co-Autorin von Rihanna’s „Umbrella“ und Beyoncé’s Single Ladies“. 

Es waren Balladen, die Vegas begeisterten. Sechs Jahre später macht „Courage“ es nach: Sia ist in der Nebenbesetzung zurück, zusammen mit David Guetta, Sam Smith, Eminem-Produzent DJ Khalil und so vielen hochkarätigen Songwriting-Teams, dass mehr Popexpertise in einem Studio kaum noch Platz gefunden hätte. Es wurden keine Kosten gescheut, aber der Auftrag – Dion’s Sound zu aktualisieren, ohne die Anhängerschaft zu erschrecken – ist schwierig. Leider ist letztlich der schlimmste Fall eingetreten. „Courage“ ist eine Art trostloser und blanchierter Pop – das heißt jedoch nicht, dass Dion’s Stimme auf diesem Album keine gute Form hat. Ihre Fähigkeit, einen Text zu verkaufen, ist weiter von höchster Qualität geprägt. 

Songs wie das mitreißende konfessionelle „Imperfections“ und der düstere, filmische Titeltrack sind ein Beweis dafür. Solche Tracks enthüllen Blicke auf eine Sängerin, die ihr persönliches Trauma in einen Song kanalisiert, die Mut in alltäglichen Erfahrungen und Emotionen findet. Aber es ist ein starker Kontrast zu den restlichen Songs, die letztlich nur eine Verpflichtung verfolgen, nämlich auf Nummer sicher zu gehen.

5.5