Von Anfang an unterscheidet sich SHARON VAN ETTEN & THE ATTACHMENT THEORY klanglich von VAN ETTEN’s früheren Werken. Die aus New Jersey stammende Sängerin schreibt und nimmt zum ersten Mal in Zusammenarbeit mit ihrer Band auf und findet die Freiheit, die durch Loslassen entsteht.
Nach sechs sehr persönlichen Soloalben hat Sharon Van Etten offenbar genug von sich selbst. Wenn man den Titel ihres letzten Albums wörtlich nimmt, hätte man dieses Mal eine Veränderung erwartet, und tatsächlich hat sie ihren Songwriting-Prozess geöffnet und zwei Mitglieder ihrer Live-Band von der „We’ve Been Going About This All Wrong“-Tour miteinbezogen: Bassist Devra Hoff und Schlagzeuger Jorge Balbi. TEEN-Sängerin Teeny Lieberson rundet das Line-up mit multiinstrumentalen Aufgaben ab. Das Ergebnis dieses ersten Albums, das The Attachment Theory zugeschrieben wird, ist keine dramatische Neuerfindung; tatsächlich werden diejenigen, die mit Sharon’s letzten beiden Platten vertraut sind, das stürmische, synthgetriebene Rückgrat dieser Platte wiedererkennen, eine Richtung, die sie erstmals mit „Remind Me Tomorrow“ von 2019 einschlug und die sich sowohl im Studio als auch in Bezug auf ihre immer imposantere Bühnenpräsenz als fruchtbar erwiesen hat.
Die Rolle ihrer neuen Band besteht anscheinend darin, sie auf eine konsequente kreative Richtung zu lenken; während auf ihren beiden vorherigen Platten die rockigeren Songs durch langsameres, nachdenklicheres Material unterbrochen wurden, schwingt sie hier direkt den Synthrock-Kracher. Die eröffnende Track „Live Forever“ und „Afterlife“ beginnen beide mit geradlinigen Grundtönen und ähnlich direkter Lyrik von Van Etten. Diese Anfänge sind so karg, dass sie einen eindringlich ansprechen. Wenn die Band mitten im Song einsetzt, nimmt das Tempo aufregend zu. Das passt besonders gut zu „Afterlife“, weil es einen eher lyrischen Erzählbogen hat, in dem Van Etten über Klischees von „til death do us part“ hinaus fantasiert und sich fragt, ob sie ihre Muse nach ihrem Tod wiedersehen und was sie zu all dem zu sagen haben wird. Seit Kate Bush hat keine Künstlerin mehr so unheimlich atmosphärische Songs geschrieben, die einen in ihre einladenden, rhythmisch nebligen Schleier einhüllen.
So effektiv diese abgespeckten Eröffnungssongs auch sind, die Bandbreite der Band erweist sich auf den späteren Tracks von „Sharon Van Etten & The Attachment Theory“ als umso beeindruckender. Das gilt nicht nur für „Idiot Box“, bei dem die Rhythmusgruppe schnell herausstürzt, während Van Etten einen ebenso energischen Refrain darüber brüllt, unsere Bildschirme auszuschalten und sich in die reale Welt hinauszuwagen. „Indio“ hat einen noch treibenderen Rhythmus, mit dem Van Etten aufregend Schritt hält und fast wie eine Post-Punk-Sängerin klingt. Das zehn Songs umfassende Album endet mit der dramatischen Ballade „I Want You Here“ („For whatever it’s worth“, „Even when it gets worse“), in der Van Etten aus einem medikamentenbedingten Rausch zu erwachen scheint, um im Namen von uns allen ein Plädoyer zu halten.
Sharon Van Etten & The Attachment Theory schwingen sich auf dieser Veröffentlichung bis zum Anschlag und man kann die Aufregung zwischen den Spielern knistern hören. Es gibt Van Etten den Raum, sich wirklich in die Rolle der Frontfrau hineinzustürzen und dabei manchmal in ein fast opernhaftes Register vorzudringen. Es ist ein dramatisches und unerwartetes neues Kapitel für eine Künstlerin, die selten weniger als fesselnd ist.
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