Julia Holter – Aviary

Kategorie: Albums, Experimental

KLANGSTART: Oktober 2018

AVIARY beginnt wie ein Film und dauert genauso lange: 90 Minuten. Die Länge einer Liebeskomödie oder eines versöhnlich prägnanten Blockbusters. JULIA HOLTER hatte nicht vor, ein Doppelalbum zu machen, aber sie ließ der Musik freien Lauf, als ihr klar wurde, dass sie den Platz brauchte.

Der Nachfolger des Albums „Have You in My Wilderness“ von Julia Holter basiert auf einer Zeile aus einer Kurzgeschichte der Autorin Etel Adnan aus dem Jahr 2009: „Ich befand mich in einer Voliere voller kreischender Vögel.“ Es ist ein Szenario, das wie aus einem Horrorfilm klingt, aber es ist auch eine ziemlich gute Metapher für das Leben im Jahr 2018 mit seinem endlosen Ansturm an politischen Skandalen, unheimlichen Naturkatastrophen und Stimmen, die ihre Wünsche und Ressentiments ins Leere schreien. „Aviary“ ist eine epische Reise durch das, was Julia Holter als „the cacophony of the mind in a melting world“ beschreibt.

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Nachdem Holter sich mit zwei klassisch thematisierten Soloplatten  – „Tragedy“ (inspiriert von Euripides‘ Hippolytus) und „Ekstasis“ (2012) – von den experimentellen Randgebieten zum frostigen Art Rock bewegt hatte, berief Holter ein Ensemble ein, um 2013 „Loud City Song“ zu konkretisieren, ein Album, das von Colette’s Novelle Gigi aus dem Jahr 1944 inspiriert ist. Unbelastet von einem solchen Konzept bot „Have You In My Wilderness“ zwei Jahre später eine Reihe spektakulärer musikalischer Miniaturen, brillant detailliert und äußerst kontrolliert. 

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„It doesn’t mean I’m going to make music that sounds like that again“, warnte uns Holter damals. Mit „Aviary“ hat sie dieses vage Versprechen eingelöst. Als unhandlicher 90-minütiger Gasriese, der sich über zwei Alben erstreckt, entstand er aus einer Reihe von Soloimprovisationen aus dem Jahr 2017 und wurde im Studio noch wilder. Der eröffnende Track „Turn The Light On“ ist normalerweise einschüchternd. Holter jammert ekstatisch über etwas, das sich anhört, als würde sich das Sun Ra Arkestra bei Pink Floyd’s großartigem Auftritt am Himmel einstimmen. 

Es ist uneingeschränkt, kathartisch, großartig. Voliere im Mikrokosmos. Inmitten von Holter’s kreischendem Trubel sind einzelne Fäden kaum zu erkennen, die Texte der 33-Jährigen sind eine schwindelerregende Mischung aus gefundenen Worten (mittelalterliche Troubadour-Lieder, Zeilen aus Sappho) und hinreißendem Geplapper. Die Wirkung ist sowohl chaotisch als auch beruhigend. Holter hat immer Pop genommen und ihre eigene meisterhafte Version davon präsentiert. Aber ihr Wunsch, den beunruhigenden Lärm der Gegenwart zu durchbrechen, macht „Aviary“ zu ihrem bisher fesselndsten Album.

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