Wenn man so spärliche Musik wie die auf LOYALTY komponiert, muss man entweder außergewöhnliche Melodien oder überzeugende Texte haben, um die Aufmerksamkeit der Zuhörerin zu behalten. Dessen bewusst bietet TAMARA LINDEMAN beides.
Die erste Veröffentlichung von Tamara Lindeman auf dem Label Outside Music in Kanada ringt mit verknoteten Vorstellungen von Treue und Untreue gegenüber unserem Idealismus, unseren Charakterkonstruktionen, unseren Erinnerungen und unserer Familie, Freunden und Liebhabern und repräsentiert einen mutigen Schritt nach vorne in neue klangliche und psychologische Bereiche. Aufgenommen in den La Frette Studios vor den Toren von Paris im Winter 2014, in enger Zusammenarbeit mit Afie Jurvanen (Bahamas) und Robbie Lackritz (Feist), kristallisiert „Loyalty“ ihre lapidare Songkunst in elf emotional aufgeladenen Vignetten und intimen Porträts, die an die kanadische Landsfrau Joni Mitchell erinnern, aber auch an Leonard Cohen und David Wiffen, aber ganz und gar ihre eigenen sind.
Der Titeltrack ist ein klares Highlight und einer der besseren Songs, die dieses Jahr herausgekommen sind. Er enthält eine lineare Erzählung über Liebe und Verlust und das Weitermachen, die auf eine Weise vorgetragen wird, die diese biederen lyrischen Themen frisch und neu erscheinen lässt. Vieles davon ist der Stimme von Tamara Lindeman zu verdanken. Ihre Stimme existiert in den Räumen zwischen Joni Mitchell und Chrissie Hynde, die die mühelose Phrasierung der ersteren und die bodenständige Sachlichkeit der letzteren besitzt. Die Reiseerzählung von „Person Eclipse“ könnte mit ihrer Liebe zum Detail und ihrer subtilen Phrasierung locker neben Hejira’s „Song For Sharon“ oder sogar „Amelia“ stehen.
Während sie auf Mitchell’s jazzigere Neigungen verzichtet, vermeiden ihre linearen lyrischen Erzählungen eine traditionelle Strophe/Chorus-Struktur zugunsten von etwas Persönlicherem, Intimerem. In diesen 11 Tracks haben wir das Gefühl, als würde Lindeman direkt zu uns singen. „I trust you to know your own mind as I know mine“, singt sie auf „Shy Women“. Das Album ist hübsch mit Instrumenten ausgeschmückt – Lindeman’s eigenes exzentrisches Gitarrenpicking (sie lernte zuerst auf einem Banjo zu spielen), die subtilsten Texturen von Percussion, Klavier, Streichern und Bass. Die Songs fühlen sich sehr sparsam an, selbst wenn sie in Chorharmonien anschwellen, wie auf dem lieblichen „Personal Eclipse“, oder sich in „Life’s Work“ zwischen anhaltenden Klavierakkorden verweben.
Diese Kompositionen haben eine Reinheit, einen Raum, durch den sich die Luft bewegen kann. Man muss die Zurückhaltung bewundern, die Lindeman und ihr Team gezeigt haben, indem sie schwache Melodien gerade genug verdichteten, um sie nachhallen zu lassen. Das Fehlen einer traditionellen Struktur kann gelegentlich störend sein, da die Songs gerade dann zu enden scheinen, wenn sie an Fahrt gewinnen. Insbesondere der abschließende Track „At Full Height“ hört auf, sobald die Musik anschwillt und uns in eine warme Klangdecke hüllt. Ob beabsichtigt oder nicht, dies führt zu einem sofortigen Wunsch, zur Wärme des Albums zurückzukehren und sich in die Intimität und zwanglose Vertrautheit von Lindeman’s Vortrag und Herangehensweise an das Songwriting zu vertiefen.
„Loyalty“ ist ein außergewöhnlich berührendes Meisterwerk, zeitlos und gleichzeitig sehr zeitgemäß, höchst persönlich in seiner Besonderheit und universell in seiner emotionalen Zugänglichkeit und Resonanz.