Wenn „Vauxhall and I“ einen reifen Typen auf dem maximalen Leistungsniveau repräsentierte, präsentiere „Southpaw Grammar“ eine oberflächlichere und rauere Version des Sängers. Morrissey veröffentlichte am 28. August 1995 sein fünftes Studioalbum, ein Art-Rock-Album mit Streichern, Schlagzeug-Soli und zwei Zehn-Minuten-Songs. Das Wesen des Albums unterscheidet sich dadurch von den früheren Morrissey-Veröffentlichungen erheblich, zum Beispiel durch die Aufnahme dieser beiden Tracks, oder durch das neuartige Sampling einer Shostakovich Symphonie. Was dagegen nicht neu war: Morrissey fühlt sich auch im fünften Studioalbum elend.
Das sollte niemanden überraschen. Aber was manche überraschen mag, ist, dass Morrissey’s neues Album sein bisher kraftvollstes Outing als Solokünstler ist. Tatsächlich ist die Bezeichnung „Soloalbum“ eine Art Fehlbezeichnung, denn genau wie Morrissey’s beste Arbeit mit den Smiths ist „Southpaw Grammar“ eine Zusammenarbeit mit dem Produzenten Steve Lillywhite und den Gitarristen und Co-Autoren Boz Boorer und Alain Whyte. Zusammen haben sie eine Klanglandschaft aus rauen, tönenden Gitarren geschaffen, die Morrissey’s ach so vertraute Themen fast frisch klingen lässt. Während manche befürchten, dass Morrissey sein Weltbild ein wenig erweitern könnte, wäre ein Morrissey-Album, das sich nicht im Elend wälzt, kein Morrissey-Album.
Für alle Hörer, die zum ersten Mal vom schockierenden Aufbruch im 10-minütigen Prog-Rock-Epos „The Teachers Are Afraid of The Pupils“ überrascht werden, muss der zweite Titel „Reader Meet Author“ eine willkommene Erleichterung gewesen sein, da sich der Sound weitaus traditioneller und weniger augenblicklich gestaltet. Dies macht die sofort erkennbare Gitarrenarbeit und die überwältigende Lyrik im Vergleich fast formelhaft, aber das Lied wird glücklicherweise durch einen starken instrumentalen Bruch und einen mitreißenden Refrain unterstützt. Diese absteigenden Gitarrenparts begleiten Morrissey’s stärkste lyrische Momente, um dem Song ordentlich Schwung zu verleihen.
„Southpaw“ ist der zweite 10-minütige Prog-Rock-Epos und eine bittersüße Reminiszenz an den Moment, in dem sich unbeschwerte Kindheit in jugendliche Entfremdung verwandelt – angesiedelt in einem nostalgischen Schwall psychedelischen Riffs, das an die Ära erinnert, als Rock selbst an der Schwelle zwischen Idealismus und Zynismus stand. Morrissey mag selbstmitleidig sein, aber zumindest klingt er nicht erbärmlich. Morrissey ist und bleibt typisch und liebenswert vernichtend, auch in seinem fünften Studioalbum.
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