Man benötigt für die ersten sechs Spielminuten der neuen Platte ‚ Share The Joy ‚ eine dehnbare Lunge, dazu viel Ausdauer und ein hohes Maß an Offenheit und Akzeptanz für Dinge, mit denen niemand so wirklich rechnen konnte. Und das nicht weil darin unzählige Riffs durch die Strophen gedrückt werden, sondern vielmehr weil das Gegenteil mit einer gewissen Respektlosigkeit die Kontrolle an sich gerissen hat. Wo sind die bekannten und geliebten Vivian Girls geblieben? Was ist zwischen Sekunde 18 und 19 nur schreckliches passiert? Eine Gehirnwäsche? Ein plötzlicher Sinneswandel, oder denke ich zu weitschweifend und die ersten Sekunden waren Restmaterial von den letzten beiden Platten? Fast scheint das die plausibelste Antwort zu sein, denn in den folgenden Minuten lernt man eine neue Seite der Vivian Girls kennen. Es gilt dabei über eine möglichst lange Zeit Melodien aufrechterhalten zu können, ohne diese vorzeitig zu beenden.
Die Mission kann auch nach dem dritten Durchlauf als erfolgreich absolviert gesehen werden. Aber über den Sinn und Unsinn dieser schwaffeligen Melodien darf man disskutieren. Ich finde es einen merkwürdigen Beginn für eine Platte, andererseit besitzen die Mädels genügend Erfahrung um sich dem Risiko eines Sturzes bewusst zu sein. Im zweiten Stück ‚ I Heard You Say ‚ geben sich die Vivian Girls kurz den ausschweifenden Verführungen zügeloser Gitarren hin, bleiben im Gesamten jedoch bedacht, und legen dementsprechend auch bei ‚ Dance (If You Wanna) diese Zügel an und bremsen ab. Man könnte sagen, die Ungestümtheit ist aus den Rhythmen gestrichen worden, dafür galoppieren nun luftige Songs und hinterlassen hier und dort versteckte Schichten aus Klavier und Gesängen – verteilt auf verschiedene Verse. Und wird im Opener bereits zu Beginn stark herunter gebremst, vollführt diesen Akt das nächste Stück ‚ Lake House ‚ am Ende seiner kreativen Schaffenszeit.
Danach stürmen die Vivian Girls mit schnellen Akkorden durch aufbrausende Beats und lassen im folgenden Track ‚ Sixteen Ways ‚ keine Zweifel an den eigenen Stärken aufkommen. Waren damals noch die zwei Hauptkriterien, fehlende Koordination des Gesangs und dem fehlenden Talent für die eigenen Instrumente, hat das Spiel zwischen Gitarristen Cassie Ramone und Bassistin Katy Goodman auf ‚ Share The Joy ‚ deutlich an Straffheit gewonnen. Nicht zu vergessen Fiona Campbell, die auf Sicht der Rhythmus-Sektion der gesamten Platte neues Leben einhaucht. Es ändert zwar leider nichts mehr an einer gefühlten Abschwächung gegen Ende von ‚ Share The Joy ‚ und auch so manche Belanglosigkeit mischt sich hier darunter, doch ‚ Light In Your Eyes ‚ greift nochmals den anfänglichen Gedanken neu auf und manipuliert diesen: Es geht dieses Mal in die andere Richtung und nach knappen 75 Sekunden nehmen die Vivian Girls an Fahrt auf. Insgesamt gefällt mir das Stück wesentlich besser als der zwillingshafte Gegenpart und spricht schlussendlich für eine starke Entwicklung, die bekanntes fortführt, bewährte Song-Strukturen auch ruhen lassen kann und sich damit der geglaubten Zugehörigkeit im Vorfeld geschickt unseren Händen entziehen konnte.
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