CARTOON DARKNESS ist voller erfolgreicher Experimente, die es AMYL AND THE SNIFFERS ermöglichen, ihr Vermächtnis in der Welt des Punk zu schaffen, ein Vermächtnis, das zu wachsen und sich zu entwickeln verspricht, solange die Band eine schockierende Abwechslung auf raue und doch grandiose Weise liefert.
Der Eröffnungstrack Jerkin‘ bricht mit einem kargen Push-Pull-Riff los, in dem Amy Taylor einen Verehrer verbal angreift – „You’re a dumb cunt, you’re an asshole“ – bevor er in einen geschmeidigen Refrain übergeht, der rät: „Keep jerkin’ on your squirter, cunt, you won’t get with me!“ So weit, so Amy, und es wird nicht überraschen, dass ihre konfrontativen, sexpolitischen Beschimpfungen, die ihr Markenzeichen sind, immer noch das bestimmende Merkmal der Sniffers darstellt. Sich an soziale Normen und Erwartungen anzupassen, ist etwas, wofür Amyl and the Sniffers seit ihrer Gründung im Jahr 2016 das Regelbuch zerreißen. Sie haben ihren Ansatz mit „Cartoon Darkness“, ihrer bisher konfrontativsten Veröffentlichung, nicht geändert. Als Album über sexuelle Befreiung, Selbstwertgefühl und Ablehnung von Konformität, das gleichzeitig als Kritik am Konsumismus fungiert, ist „Cartoon Darkness“ der wichtigste Moment für die Rockmusik dieses Jahres.
Sie nehmen sogar gelegentlich den Fuß vom Gas. „Big Dreams“, ein Lied darüber, wie man versucht, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, während man zusieht, wie Geburtstage immer schneller vorbeifliegen, ist reines filmisches Slow-Burn mit Anspielungen auf Morricone’s Italowestern-Soundtracks, klingt aber dennoch entschieden australisch und so groß wie das Outback. Es ist eine zufriedenstellende Stimmung, alles leises Knistern, aber wenn die Trommeln endlich einsetzen und das raue Gitarrensolo wütet, ist es, als würde man endlich einem Leben entkommen, das nirgendwo hinführt. Amyl haben so etwas noch nie zuvor gemacht und es passt wirklich zu ihnen. Die Band hat das Album in Los Angeles mit Nick Launay aufgenommen, einem erfahrenen britischen Produzenten, der in den letzten über 40 Jahren mit vielen Australiern zusammengearbeitet hat (Midnight Oil, Nick Cave, INXS) und der der Band geholfen hat, ihren Sound zu verbessern und zu erweitern.
„Bailing on Me“, eine bittersüße Geschichte über Liebeskummer, fügt dem Mix Klimpern – und Pfeifen – hinzu, während „U Should Not Be Doing That“ und „Me and the Girls“ sich an Disco versuchen. Letzteres kommt außerdem mit Maultrommel und Vocoder im Daft Punk-Stil. Amy hat sich inzwischen zu einem erstaunlichen Rockstar entwickelt, der uns mit brillant konfrontativen, endlos zitierfähigen Lobgesängen auf alles – von nervigen Typen bis zum Klimawandel – unverfroren ins Gesicht springt. Alles zusammen ergibt ein sofort unwiderstehliches Album, das – genau wie seine erste Zeile – offen, furchtlos, lustig und verdammt fantastisch ist.