„I’m not saying that pain doesn’t exist no more in our life,“ sagt MARY J. BLIGE in dem gesprochenen Intro zu ihrem 10. Studioalbum. „But now we know how to navigate it.“ Das Navigieren im Schmerz war schon immer ihr Thema. In dieser Fortsetzung von My Life aus dem Jahr 1994 ist sie wie üblich eine Reisende auf sturmgepeitschten emotionalen Meeren, die von Glückseligkeit zu Qual und wieder zurück schwingt.
Fast 17 Jahre nach dem Original „My Life“ kehrt Mary J. Blige mit einer Fortsetzung zurück. Dadurch lädt sie natürlich zu Vergleichen mit ihrem wohl größten Werk ein, und obwohl es nicht ganz die verletzte Effizienz dieser Platte besitzt, können wir sehen, warum sie sich entschieden hat, die beiden zusammenzubringen. Der zweite Teil ist eine überraschend robuste Rückkehr zur alten Form, insbesondere angesichts der Schlaffheit ihrer letzten beiden Alben. Mit Gastauftritten von Nas, Busta Rhymes, Drake, Rick Ross und Beyoncé fühlt es sich elegant, raffiniert und größtenteils zeitgemäß an. Trotz seines geladenen Titels kehrt „My Life II… The Journey Continues (Act 1)“ nicht zu den emotionalen Einsätzen des ersten Albums zurück, noch fühlt es sich wie eine unmittelbare Fortsetzung an.
Die Platte nimmt sich Zeit für etwas von dem Old-School-Soul, für den man sich am besten an das Original von 1994 erinnert (am glorreichsten auf der überschwänglichen Single „25/8“), aber nicht mehr als bei jedem anderen aktuellen Blige-Album. Es ist weniger elektronisch als das Pop-lastige „Stronger With Each Tear“ aus dem Jahr 2009, aber immer noch reichlich temporeich und überlässt uns mit dem Busta-Rhymes-Feature „Next Level“ und einem etwas unangebrachten Euro-House-Cover von Chaka Khan’s „Ain’t Nobody“. Obwohl er das Projekt mit einem gesprochenen Intro-Track verabschiedet, ist My Life-Produzent Sean Combs ansonsten abwesend und wird hinter den Reglern durch das übliche Team von High-End-Produzenten ersetzt.
Aber so wie Blige’s letzte paar Alben ihrem „More-Drama“ ein gewisses Gefühl von (zugegebenermaßen manchmal langweiliger) Zentriertheit gaben, haben sie auch ihrem Selbstmitleid eigentümlich astronomische Ausmaße verliehen: “I know that he has something better to do than to sit and listen to a brokenhearted fool/Could’ve been saving the world from a tragedy, but instead he was listening to me,” singt sie auf „Empty Prayers“. Manchmal bringt Blige’s Understatement Momente unbeabsichtigter Komik hervor, wie wenn sie in der vermutlich unverblümten Schlusshymne „The Living Proof“ sinniert: “So glad the worst is over” und “I can start living now”. Was dem Album jedoch an einer klaren Vision fehlt, macht es mit durchweg mitreißenden Darbietungen von Blige wett, deren strahlende Stimme mit der Zeit nur voller und bluesiger geworden ist.