In A NEW REALITY MIND versteht MADELINE KENNEY, dass Liebe und ihr Tod keinen Sinn ergeben müssen, denn ob sie ihn nun hat oder nicht, die stärkeren und bewussteren Versionen ihrer selbst hören nie auf, sich weiterzuentwickeln.
Auf Madeline Kenney’s Album „Sucker’s Lunch“ aus dem Jahr 2020 öffnete die in Seattle geborene Singer-Songwriterin vorsichtig ihr Herz und erlaubte sich, sich zu verlieben, trotz der unvermeidlichen Zerstörung, die ihr bevorstand. Wenn es bei „Sucker’s Lunch“ darum ging, Platz für die Liebe zu schaffen, dann geht es auf ihrem vierten Studioalbum „A New Reality Mind“ darum, nach dem Verlust zu leben. Nur wenige Monate nach der Trennung kommt Kenney mit klarem Kopf und deutet auf verzierten Synth-Pop hin. Die Produktion erfolgte komplett in Eigenregie. „A New Reality Mind“ bietet eine bezaubernde, eigenartige Klangpalette, die es auf Kenney’s Alben noch nie gegeben hat, und bindet sie in eine Tradition mit Dance-Musik und Indie-Rock-Wurzeln ein, um etwas Unverkennbares zu schaffen, das ihr eigen ist – was ihre stilistischen Entscheidungen manchmal zahm und manchmal gewagt erscheinen lässt.
Kenney spielt auf der gesamten Platte oft mit vielen der gleichen Texturen, aber sie arrangiert sie mit jedem Track in faszinierende neue Formen, wie zum Beispiel das raumgreifende Gitarrensolo in „Reality Mind“ oder die Stiche von Synthesizern und dissonanten Akkorden in „Leaves Me Dry“. Gelegentlich überrascht sie jedoch mit gewaltigen Trommeln, wie auf dem Höhepunkt von „HFAM“, oder mit berauschendem Saxophon, wie in „I Drew a Line“. Ihre Songstrukturen sind oft verwinkelt und abstrakt, ständig gefangen im Rausch von Kenney’s wechselndem Ton und Dynamik. „Red Emotion“ fühlt sich zunächst fast ambient an, verwandelt sich aber später in einen hypnotisierenden elektronischen Rhythmus, der von Ohrwurm-Synthesizer-Hooks gefärbt wird.
Oftmals stürmt eine gewaltige Gesangsharmonie oder ein dissonanter Akkord herein und verschwindet genauso schnell und trifft uns mit kleinen, winzigen Verschiebungen in der Klangmischung des Titels. Auch wenn „A New Reality Mind“ nicht zu ihren melodischeren Werken gehört, handelt es sich um ein detailorientiertes Werk, das sich mit der Balance aus klanglichem Einfallsreichtum und Pop-Referenzpunkten beschäftigt. Textlich könnte es auch mit dem stetigen Strom neu angepasster Erwartungen zusammenhängen.