Jehnny Beth – TO LOVE IS TO LIVE

Alternative Rock, VÖ: Juni 2020
TO LOVE IS TO LIVE ist ein mutiges und gewagtes Album. Es wäre für JEHNNY BETH wesentlich sicherer gewesen, in ihrer ehemaligen Band herumzuhängen und ein neues Album zu veröffentlichen. Stattdessen hat sie eine Doppelsechs gewürfelt. Es war ein Glücksspiel, das sich nun auszahlt.

Das Debütalbum der ehemaligen Frontfrau der Savages „TO LOVE IS TO LIVE“ beginnt mit einem höhlenartigen, cineastischen Intro, das „I am naked all the time“ ankündigt, zuerst in einem verzerrten Knurren und später in Jehnny Beth’s eigener, zerbrechlicher, nackter Stimme. Sie bereitet die Bühne für ein rastloses Album vor, das von Kontrasten lebt: von zarten Klavierballaden bis hin zu thrashendem Metal. Die Platte erscheint gleichzeitig mit einer Sammlung erotischer Kurzgeschichten – Crimes Against Love Manifesto (CALM) – und kann ebenso sinnlich sein, wie in „Flower“, einer gedämpften Ballade, die einer Pole-Tänzerin aus Los Angeles gewidmet ist, und „We Will Sin Together“, dass sich in dunstige, wogende Synthesizer hüllt. Aber Beth hat auch die Aggression ihrer Savages-Persönlichkeit nicht verloren: Es gibt die glitzernde Wut von „How Could You“ (mit Joe Talbot von Idles) und dem spröden Peaky Blinders-Soundtrack „I’m The Man“.

Es ist ein Album, das gleichermaßen von Macht und Verletzlichkeit angetrieben wird – oft gleichzeitig. Nehmen wir den Moment wahr, in dem Heldentum auf Demut trifft, in dem schaurigen „Heroine“, in der Romy Croft von The xx zu hören ist. Über den klirrenden Electro-Sounds von „Innocence“ spricht Beth die “Catholic guilt” die “teaches you it’s bad form to think man is a piece of shit”,  bevor sie sich der Welt mit dem industriellen Kraftpaket „I’m The Man“ stellt: “There’s no bitch in town who doesn’t understand how hard my dick can be”. Beth erkundet die nuancierten Schattierungen von Liebe, Lust, Versagen, Angst und Wut – eine Kakophonie von Emotionen, die der mühelosen Reise des Albums durch klangliche Extreme entspricht. Als Autorin von Belletristik sollte es keine Überraschung sein, dass Beth weiß, wie man eine Erzählung erstellt. 

Als solches gibt es einen wunderbaren Bogen im Geschichtenerzählen innerhalb des Albums. Es ist eines, das die eigentliche Natur dessen erforscht, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Ganz am Ende des Albums, wenn alles etwa neununddreißig Minuten später mit dem hypnotischen Schlusswort „Human“ endet, kehrt die jenseitige Stimme zurück und bestätigt, was uns in den ersten beiden Zeilen gesagt wurde. Es mag in Teilen ungeordnet und sogar disharmonisch klingen, aber letztendlich schließt sich der Kreis in einer makellosen Symmetrie. Das hat etwas wunderbar Perfektes.

8.2