Damien Jurado – Reggae Film Star

Folk, VÖ: Juni 2022
DAMIEN JURADO ist seit dem ersten Tag standhaft allergisch auf jede stereotype Singer-Songwriter-Nabelschau geblieben, und vielleicht ist es diese Abneigung gegen vertraute Vorlagen, die sowohl die Massen auf Distanz hält als auch Alben wie REGGAE FILM STAR für Kenner so reichhaltig macht.

Mit „Reggae Film Star“ veröffentlicht Damien Jurado sein 18. Album, dessen Qualität seiner Platten noch nie unter den Durchschnitt gefallen sind. Jurado hat bestimmte Richtungen des Kinos als wichtigeren Einfluss auf seine charakter- und geschichtengetriebenen Songs angeführt als jeder andere Musiker. Da ist es vielleicht nur natürlich, dass der in Seattle lebende Sänger/Gitarrist einen (locker) thematisch zusammenhängenden Liederzyklus geschrieben hat, der am Rande der Filmindustrie angesiedelt ist. Und wie immer bei Jurado’s Songs, insbesondere ab dem 2012er palettenerweiternden „Maraqopa“, ist nichts offen für einfache Interpretationen. Es ist ein persönlicheres Album als seine Vorgänger für Jurado, dieses Album lebt in einer Kindheit des 20. Jahrhunderts, die sich an ältere Verwandte sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Thomas Wolfe, Percy Faith und den Schauspieler Marvin Kaplan erinnert, wobei letzterer eine von mehreren Anspielungen auf die Sitcom Alice war (Jurado wurde 1972 geboren). 

„Reggae Film Star“ taucht tiefer in die imaginierten Realitäten hinter der Kamera des Showbusiness in eine Ära ein, die von Schallplatten, Zigaretten und Zelluloid dominiert wird. Er nimmt wieder mit dem Multiinstrumentalisten Josh Gordon auf, seinem einzigen Begleiter für den Großteil dieser Veröffentlichungen, obwohl er hier auch von einem Trio aus Streichern, mehreren Background-Sängern und einem Pianisten für ein Album unterstützt wird, das filmischer ist als die dazwischen liegenden Veröffentlichungen in mehr als einer Hinsicht. Und wenn das eine in das andere übergeht, ist man nie ganz sicher, was wahr ist. Die Wirkung ist beunruhigend, aber sehr befriedigend. Auf „Location, Undisclosed 1980“ kristallisiert sich das Mysterium zu etwas Greifbarem heraus, aber immer noch an der Grenze zwischen der imaginären Welt und der gelebten Erfahrung, wenn Jurado singt: „I could never live a life without you/I could never do another film“. 

Literaturtheoretiker könnten in dieser Technik etwas Postmodernes sehen, vielleicht ein ständiges Spiel zwischen erzählter Welt und mimetischem Geschichtenerzählen. Aber es ist wahrscheinlich hilfreicher, es als Spiegelbild des mentalen Zustands des Erzählers zu sehen, der durch die Verrücktheit der Leinwand gebrochen und durch Liebe oder menschliche Güte repariert wurde. Schauspieler, Kameraleute, Zuschauer: Die Protagonisten von Jurado scheinen Teil eines Filmsets zu sein. Vielleicht ist das ganze Album die dokumentarische Erzählung eines Tages am Set. Man verliert sich in diesen Assoziationen, Erinnerungen und selbstverlorenen Gedanken. Auf diese Weise wird die Platte selbst zum Cinéma vérité.

7.7