Bruce Springsteen – Letter To You

Rock, VÖ: Oktober 2020
Die Live-Aufnahme dieser Platte trägt wirklich dazu bei, ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, dass sich so präsent und nah anfühlt, als würden wir als Zuhörer gemeinsam mit BRUCE SPRINGSTEEN gegen die Pandemieregeln verstoßen.

Wenn das zwanzigste Studioalbum „Letter To You“ von Bruce Springsteen die Art von filmischer Endszene wäre, wie es sich anhört, würde unser Held auf eine Leuchtreklame mit der Aufschrift „Welcome To Fabulous Las Vegas“ blicken und eine unausgesprochene innere Offenbarung spüren. Er steigt auf sein Motorrad und rast in Richtung New Jersey davon. Als Springsteen 70 Jahre alt wurde und sich auf die Veröffentlichung von „Western Stars“ vorbereitete, war er sich nicht ganz sicher, was als nächstes kommen würde. Auf seinem 20. Studioalbum beantwortet er diese Frage sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene. Ähnlich wie „Western Stars“ die vergangenen kalifornischen Klänge von Los Angeles bis Bakersfield erforschte, findet auch „Letter to You“ seine Inspiration in der noch nicht verblassten Vergangenheit. 

Neben einer neuen Reihe wichtiger Songs, die sich dem Altern, dem Tod und dem Erbe widmen, hat Springsteen auch drei Tracks wiederbelebt, die vor seinem Debüt 1975 geschrieben wurden. Die Kombination aus Wehmut und Freude – angetrieben von einer kraftvollen E Street Band, die abgesehen von den zwei verstorbenen Gründungsmitgliedern Clarence Clemons und Danny Federici auf die eine oder andere Weise seit nahezu 50 Jahren gemeinsam Musik macht – prägt insbesondere „Last Man Standing“ und „Ghosts“, aber auch das Werk als Ganzes. In nur vier Tagen live im Studio aufgenommen, stellt „Letter to You“ fest, dass Springsteen die großen Fragen stellt und beantwortet: Wie erinnern wir uns an die Toten? Was lassen wir zurück? Was gibt es nach fünf Jahrzehnten Musikkarriere noch zu sagen, und wie können wir es am besten sagen, solange wir noch die Chance haben?

Insgesamt ist „Letter To You“ eine wunderbar herzliche Erfahrung, vielleicht Springsteen’s menschlichste seit einiger Zeit. Der Versuch, sich mit der Realität des Alterns und den Prozessen des Älterwerdens auseinanderzusetzen, ist auch eine lebendige Darstellung der Freundschaft, die mit Charakteren inszeniert wird, die auf ihre einzigartige Weise dazu beigetragen, seine eigene Mythologie zu formen. Mutig, trotzig und aufregend motiviert findet es den Songwriter in einer Ebene wider, die sowohl von Verletzlichkeit als auch von hartnäckigem Trotz geprägt ist. Dies ist jedoch keine reine Nostalgie-Reise. Sowohl „House Of A Thousand Guitars“ als auch „Rainmaker“ schießen auf den „kriminellen Clown“ im Weißen Haus, und zeigen „Letter To You“ so jung im Herzen wie den Mann dahinter. Es ist ein Zeichen dafür, dass wir noch weit vom Abspann entfernt sind.

9.2