Björk – Vespertine

Classic AlbumsElectronic, VÖ: August 2001
Von allen Alben, die dieses Jahr veröffentlicht wurden, ist VESPERTINE von BJÖRK eines der beeindruckendsten und zusammenhängendsten.

„Homogenic“, immer noch die innovativste und umfangreichste Veröffentlichung von Björk’s Solokarriere, strotzte vor reicher Melodie und sybaritischer Bildsprache. Seine dichte, programmierte Percussion spiegelte die Kindheit von IDM wider, tauchte es in grüblerische russische Streicherarrangements, die von dröhnenden Bassschlägen und Björk’s dringender Frustration getragen wurden. Die höhlenartigen Echos und meisterhaften Arrangements des Albums erreichten überlebensgroße Ausmaße wie die amerikanischen Musicals, von denen Selma in Dancer in the Dark fantasierte. Sowohl geschlossen als auch unvorstellbar modern, klang „Homogenic“ wie die Zukunftsmusik von Kindheitsträumen. „Vespertine“ ist zwar unbestreitbar schön, versäumt es aber, elektronischer Musik den Vorwärtsschub zu geben, den sie auf Björk’s vorangegangenen Alben erhalten hat. Anstatt nie dagewesene Sounds zu entwerfen, klingt das Album einfach aktuell und stützt sich auf die Technologie von Standard-Studiosoftware und die Erkundungen des Powerbook-Elite.

Das ordentliche Drama der Programmierung und Arrangements auf „Vespertine“ passt jedoch zur physischen Elektrizität von Björk’s Stimme. Ihr Selbstbewusstsein auf früheren Alben ist verschwunden; Björk bewegt sich mit konzentriertem, ansteckendem Vergnügen durch diese Musik. Es ist kein Zufall, dass zu Björk’s Gehilfen auf „Vespertine“ das Computerduo Matmos aus San Francisco gehört und dass das lange, wunderschöne „Unison“ ein Sample der deutschen Gruppe Oval enthält. „Vespertine“ kommt dem üppigen Zen des neuen minimalistischen Techno am nächsten und schlägt sogar Radiohead’s nervöses „Kid A“. Wo „Kid A“ wie eine Platte des Risikos klang, das Werk einer Band auf unbekanntem Terrain, singt Björk hier als ob sie jeden Zentimeter Raum und Schatten in diesen Liedern besitzt und kennt. Im Vergleich zu ihren vorherigen Alben behält „Vespertine“ eher eine ziemlich konstante Stimmung als ein Genre-Hopping bei. 

Ein Großteil der Songs ist auf das bekannte Liebesthema ausgerichtet, mit einem Hauch der surrealen Texte, die ihre früheren Werke einschlossen. „An Echo, A Stain“ und der siebenminütige Albumabschluss „Unison“ nutzen das Orchester und die clevere Drumbeat-Programmierung, die über das gesamte Album verteilt sind. Und wegen des warmen Einsatzes von Streichern hat das Album eine erhebende Qualität, die die Emotionsanzeige ein paar Stufen anhebt. Die Musik hat im Vergleich zum stark strukturierten zweiten Album „Post“ definitiv mehr Freiraum, lässt die Musik die Geschichte zusammen mit den Worten erzählen. Von allen Alben, die dieses Jahr veröffentlicht wurden, ist „Vespertine“ eines der beeindruckendsten und zusammenhängendsten. Es kommt nicht oft vor, dass ein Album einen wirklich so bewegen kann, wie „Vespertine“ das Potenzial dazu hat. Die einzige Enttäuschung ist die Tatsache, dass es einen nicht so verwirrt wie „Homogenic“. 

Es war die Art von Album, das man sich aggressiv anhören musste, um die komplexe Musik zu entschlüsseln, während „Vespertine“ die Art von Album ist, bei der man die Musik passiv in seinen Körper eindringen lässt. Es ist ein Album, das atmet, der Musik Raum gibt und die gemeinsame Freude am Sound über Coolness oder Nervosität stellt. Es ist bescheiden, aber sehr kreativ.

8.0