Beyoncé – 4

R&B, VÖ: Juni 2011
Eines der besten Musikvideos des Jahres wurde von Jay-Z inszeniert und kostete ungefähr null Dollar. Der Kamera-Handy-Clip zeigt BEYONCÉ, wie sie die Eröffnungsballade der ewigen Liebe ihres neuen Albums „1+1“ backstage bei „American Idol“ probt. Da ist sie: mit geschlossenen Augen vor einem Spiegel, singt sich die Seele aus dem Leib, während Familie und Freunde in stiller Ehrfurcht zuschauen.

Ihr viertes Solowerk „4“ setzt die Beyoncé-Tradition fort, erstaunlich eingängige, hymnische Alben mit einigen ihrer bisher besten Songs zu machen. Ja, selbst der Ruhm von „Single Ladies (Put a Ring on It)“ verblasst im Vergleich zu den 12 Tracks, aus denen diese LP besteht. Beeinflusst von allem, von Fela Kuti Broadway-Musicals bis hin zu den Stylings von Teena Marie, ist „4“ eine prägnante und kraftvolle Demonstration einer Frau an der Spitze ihres kreativen Schaffens. Natürlich gehören auch einige der besten Autoren und Produzenten der Branche dazu (einschließlich Kanye West, Frank Ocean, The-Dream, Diplo, Babyface und mehr). Dank all dieses Einflusses (und ein bisschen ihres eigenen Genies) hat sie ein hypnotisierendes Ensemble aus R&B-Balladen, Clubkrachern und nostalgischen Rückblicken geschaffen, die alle mit viel Herz und direktem Soul gefüllt sind.

Beyoncé ist eine solche Naturgewalt, dass man ihren Trumpf leicht übersieht: Sie ist ein bisschen schräg. Keine Spinnerin wie ihre härteste Konkurrenz Lady Gaga. (Ein Fleischkleid zu einer Preisverleihung zu tragen ist nicht Beyoncé’s Stil.) Ihre Verrücktheit ist musikalisch – es ist die eigentümliche Art, wie sie ihren Gesang synkopiert, die seltsamen Melodien, die sie über raue Beats schweben lässt, ihre Mischung aus Rap, Gospel und altmodischem Showbiz. Es ist in Balladen wie „1+1“ zu finden. Der Track beginnt wie Low-Fi-Indie-Rock: ein paar zerlumpte Gitarrenarpeggios, eine dezent pfeifende Orgel. Es bleibt mehr oder weniger dort, während Beyoncé einer schlängelnden Melodie folgt, die über den Trost der Liebe und des Sex surrt, stöhnt und kreischt. “When my days look low/Pull me in close and don’t let me go/Make love to me”. 

Als Diva ersten Ranges verkauft Beyoncé alles, was sie singt, und „4“ zeigt, wie sie sich stimmlich ausstreckt, insbesondere bei dem herzzerreißenden „I Care“. Sie ist ein geschicktes Chamäleon, das von Darstellungen epischer Bedürftigkeit („Rather Die Young“) über nächtliche Geilheit („Party“) bis hin zur Mädchenhymne („Run the World (Girls)“ triumphieren kann. Sie überzeugt selbst in den gequältesten und banalsten Liebes- und Herzschmerz-Texten – von denen es dank einer Litanei von Co-Autoren viele gibt. Unter ihnen: Diane Warren, die das unangenehm überdrehte „I Was Here“ beisteuerte. “I was here/I lived, I loved/I was here/I did, I’ve done/Everything that I wanted.” Aber letztlich hält das Album einige Juwelen bereit, dazu eine großartige Stimme, dass zusammen genommen den Glanz und die Ausgeglichenheit aufrecht erhalten können.

6.8