Beth Orton – Sugaring Season

Folk, VÖ: Oktober 2012
Während das ganze Album die unbeschwerten Nervenkitzel seiner Höhepunkte nicht ganz aufrechterhalten kann und weniger mit einem Knall und mehr mit einem Wimmern endet, ist SUGARING SEASON immer noch ein gutes Argument dafür, dass es besser spät als nie ist, dass BETH ORTON ihre eigene Vision als Künstlerin findet.

Die Karriere von Beth Orton war schon immer von einer Identitätskrise geprägt. Obwohl ihr anfänglicher Anspruch auf Ruhm das Ergebnis einiger zufälliger Kollaborationen mit den Chemical Brothers war, als Electronica Mitte der 90er Jahre als das nächste große Ding durchstartete, waren ihre besten Arbeiten eher konventioneller Natur: lebhaft, eingängig Folk-Nummern, die der alternativen Singer-Songwriter-Küche für Erwachsene ein wenig Schärfe und Biss verliehen. Bei dem Versuch, dem „Folktronica“-Tag gerecht zu werden, den Orton vertrat, verlor ihre eigene Musik ironischerweise ihren eigenen Orientierungssinn, sodass sich ihre frühen Alben in ihrem Versuch, alle ihre Grundlagen abzudecken, unzusammenhängend anfühlten. Während also ihre resonante, raue Stimme als netter Kontrapunkt zu Ihrem typischen Techno-Diva-Gastauftritt diente, wirkte Orton’s Formel auf dem Papier oft inspirierter als in der Performance, zwischen dem Gutmachen dessen, womit sie sich einen Namen machte, und dem Herausfinden, wo sie hingehört.

In den sechs Jahren seit ihrem letzten Album hat Beth Orton geheiratet, ist Mutter geworden, ihre Norfolk-Wurzeln wiederhergestellt und ihre Gitarrenkenntnisse mit der Hilfe ihres Helden Bert Jansch aufgefrischt. Das Ergebnis ist ein frisches, herbstliches Album, das unverschämt reif und doch beeindruckend frei ist. Das Highlight „Something More Beautiful“ ist eine sanfte Ballade, die stark und doch anmutig beginnt. Doch nach einer Minute schwillt es zu einer emotionalen Streicherflut an, die Orton im Laufe von 60 kurzen Sekunden sowohl von ihrer nacktesten als auch von ihrer triumphalsten Seite zeigt. Die meisten der zehn Tracks auf dem Album besitzen diese Art von dramatischem Schwung nicht, und das ist das Beste – zu viel Drama würde nur die subtileren, aber nicht weniger atemberaubenden Höhepunkte überholen – vom luftigen „Dawn Chorus“ bis zum kunstvollen „Magpie“, einem bedrohlich trotzigen Eröffnungsstück, unterbrochen von der wiederkehrenden Zeile: “I won’t turn back now for anyone.”

Am beeindruckendsten sind die Momente auf „Sugaring Season“, in denen Orton ihren Songs erlaubt, sich langsam und bedächtig von düsteren Folkmelodien zu Werken von gespenstischer Majestät zu entwickeln, allen voran „Candles“. Es ist ein ehrfurchtgebietendes Juwel gotischen Ausmaßes, das mit Abstand zu den besten Songs gehört, die sie je geschrieben hat. Der Abschluss folgt mit „Mystery“ und auch dieses Stück gehört zu den schönsten Songs, die Orton je geschrieben hat. Sie ist elliptisch, offen und frei von der Weltmüdigkeit, die oft in ihrer Singstimme geherrscht hat. Es bietet Ruhe, wenn es zu Ende flüstert. „Sugaring Season“ ist raffiniert, ausgereift und voller stiller Leidenschaft. Seine Songs sind geprägt von den Kämpfen des Alltags, erzählen aber auch von Träumen, kleinen Triumphen und der erlösenden Kraft der Liebe. Es ist eine höchst willkommene Rückkehr aus dem Exil.

7.0